Es sind nun die längsten Tage des Jahres und die kürzesten Nächte. Am 21. Juni ist die Sommersonnenwende. Diese Zeit im Jahr ist voller Licht, Leben, Leichtigkeit und Fülle. Wir können das mit allen Sinnen spüren: Wenn wir die Vielfalt an Kräutern, Gemüse, Kirschen und Beeren genießen, dem Zirpen der Grillen lauschen, der warme Sommerwind über die Haut streicht, und wir uns im kühlen Nass erfrischen.
Und gleichzeitig schwingt unbemerkt bereits ganz viel Vergänglichkeit mit. Der keltische Jahreskreis lehrt uns, dass Nichts für immer ist. Das Rad dreht sich immer weiter. Alles verändert sich fortlaufend – das ist die einzig sichere Konstante. Meteorologisch und kalendarisch ist die Sommersonnenwende der Beginn des Sommers. Der Name Mittsommer oder Midsommar geht auf die alte Vorstellung der Kelten und Germanen zurück, wonach der Sommer zu Beltane (1. Mai oder 5. Vollmond) begann. Unterteilt man den Sommer in Früh-, Hoch- und Spätsommer, so markiert der Mittsommer die Mitte des Sommers. Nun beginnt der Hochsommer, die heißeste Zeit des Jahres. Der Höhepunkt ist zugleich der Zeitpunkt der Wende, des Umschwungs und der Verwandlung. Die Sommersonnenwende ist gleichzeitig der Zeitpunkt im Jahr, ab dem die Tage wieder kürzer werden. Auch wenn das in dieser Zeit der Fülle, Freude und des Lichts nicht spürbar ist, beginnt nun bereits im Unsichtbaren die Zeit des weniger Werdens, des Abnehmens.
Die Sommersonnenwende wird in vielen Kulturen rund um die Welt seit dem Anbeginn der menschlichen Kulturgeschichte gefeiert. Heute besonders bekannt sind die Midsommar-Feste in den weißen Nächten Skandinaviens. Aber auch bei uns in Mitteleuropa wird die Sommersonnenwende noch mit großen Johanni-Feuern und Johannisfesten gefeiert.
Für mich sind die Jahreskreisfeste eine Gelegenheit, mich Jahr für Jahr mit den Vorgängen und wiederkehrenden Rhythmen in der Natur vertraut zu machen. Dabei spüre ich eine Verbindung zu unseren Vorfahren – auch wenn wir heute mangels schriftlicher Aufzeichnungen und wechselseitiger kultureller Beeinflussungen im Zeitverlauf nicht mehr genau wissen, was unsere Vorfahren zur Sonnenwende gedacht, gefühlt und gemacht haben.
Zur Sommersonnenwende kann man sich alten Bräuchen entsprechend bunte Blumenkränze binden für den ausgelassenen Tanz am Feuer. Und wer besonders mutig ist, der wagt den Sprung übers Feuer.
Ursprünge der Sonnenwendfeiern
Unsere Vorfahren waren eng mit den natürlichen Kreislaufen verbunden und beobachten den Lauf der Sonne genau. So hatten sie auch genau Kenntnis von den Sonnenwenden. Davon zeugen die uralten Hügelgräber, Steinkreise und Steinreihen in Europa. Sie sind mit Sonnensymbolen geschmückt und so ausgerichtet, dass Licht zur Sonnenwende auf einen bestimmten Punkt einfällt. Ähnliche Bauwerke haben die Maya in Südamerika oder die Ägypter errichtet.
Mythologisch hat die Herrschaft des Lichts nun ihren Höhepunkt erreicht – doch der Niedergang naht. Der keltische Sonnengott Belenos, dessen Herrschaft zu Beltane begann, regiert im Reich des Sommers. Seine Pflanzengöttin Belisama ist nun schwanger mit den heranreifenden Früchten der Erde. Die Zeit der Reife beginnt. Zur Sommersonnenwende stirbt der Sonnengott Belenos von der Hand des ihm nachfolgenden Sonnen- und Erntegottes Lug oder Lugus. Der Geschichte nach soll der Sonnengott Belenos unsterblich gewesen sein. Denn die Muttergöttin hatte sich von allen Lebewesen versprechen lassen, dass niemand ihrem geliebten Sohn etwas ant uen dürfe. Nur der kleinen Mistel, die weder Himmel, noch Erde angehörte, hatte sie diesen Schwur nicht abgenommen. Mit einem Speer aus einem Mistelzweig tötet der feurige Lug dann den Lichtgott Belenos und übernimmt zur Sonnenwende die Herrschaft. Nun beginnt die Zeit der reifenden Früchte und der Ernte des Getreides. Bei den Germanen gibt es eine ähnliche Geschichte über den schönen Lichtgott Baldur, der durch eine List des Gottes Loki versehentlich von seinem Bruder Hönur getötet wurde. In manchen Gegenden werden heute noch zur Sonnenwende brennende Feuerräder die Berge herunter gerollt. Diese Bräuche könnten auch germanischen Ursprungs sein und den Donnergott Taranis ehren, dessen Symbol ein brennendes Rad ist.
Die Christen übernahmen viele der alten Bräuche, die sie in Europa vorfanden, und deuteten sie im Sinne der biblischen Geschichte um. Aus den Sonnenwendfeiern wurden die heute noch rund um den 24. Juni gefeierten Johannis-Feste zum Geburtstag Johannes des Täufers. Auch das alte Brauchtum wurde übernommen und so werden heute noch große Johanni-Feuer entzündet. Die Johannisbeeren, die nun reif sind, sind nach dem Johannis-Tag benannt. Gleiches gilt für die Johanniskäfer oder Glühwürmchen, die wir nun in den lauen Sommernächten beobachten können.
Fülle und Reifen in der Natur
In der Natur verlangsamt sich das explosive Wachstum der letzten Wochen – es hat seinen Höhepunkt erreicht. Überall sind Blütenmeere und dichtes Grün. Nun beginnt die Zeit des Reifens, der Transformation und (Ver-)Wandlung. Die Zeit um die Sommersonnenwende steht für Fülle, inneren und äußeren Reichtum und für Reifen, Transformation und Verwandlung. Im Mondzyklus entspricht diese Zeit dem Vollmond.
Aus Blüten werden reife Früchte. Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen und Johannisbeeren schenken uns den Geschmack des prallen süßen Lebens.
Viele Heilkräuter haben nun ihre höchste Wirkkraft und werden heute noch als Johannissträuße gesammelt und für die Hausapotheke getrocknet. Zu den klassischen Johannis-Kräutern gehört allen voran das sonnengelb strahlende Johanniskraut, dass stimmungsaufhellend wirkt. Auch die älteste in Europa bekannte Ritualpflanze, der Beifuß, spielt in Sonnenwendritualen ein große Rolle. Das Schamanenkraut Beifuß soll die Hellsichtigkeit und den Zugang zur nicht-sichtbaren Anderswelt fördern. Nur mit einem Beifußgürtel bekleidet und einem Sonnenwendkranz im Haar sollen die Menschen früher um das Freuden- und Dankbarkeitsfeuer getanzt sein. Es gibt eine ganze Reihe weiterer typischer Johanniskräuter, die für Sonnenwendkränze verwendet wurden:
Thymian oder Quendel (Lebensfreude, Mut, Sonnenkraft),
Ringelblume (Sonne, Fruchtbarkeit, Heilung),
Holunderblüten (Tor zur Anderswelt, weibliche Kraft).
Aus diesen Heilkräutern und Blüten kann man sich auch heute wunderschöne duftende Blumenkränze für die Sonnenwendfeier binden. In manchen Gegenden sammelt man Sonnenwend-Blumensträuße und legt sie unter sein Kopfkissen, um von der Liebe im Leben zu träumen.
Höhe- und Wendepunkt: Rückschau und Neuausrichtung
Im Lebenszyklus des Menschen sind wir in der Lebensmitte, der Zeit um das 40. Lebensjahr angekommen. In dieser Zeit steht man meist auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft – mitten im Berufsleben, der Elternrolle und geht seinen sportlichen, kulturellen, gesellschaftlichen oder spirituellen Neigungen nach. Man hat sich selbst nun schon viele Jahre immer wieder neu kennengelernt und ausprobiert. Es ist oft auch eine Zeit, in der man innerlich gefestigter und reifer wird. Gleichzeitig ist diese Lebensphase ein Wendepunkt, der auch mit Lebenskrisen – Midlifecrisis – oder den bevorstehenden Wechseljahren der Frauen einhergehen kann. Diese Phase am Höhe- und Wendepunkt des Lebens ist eine großartige Gelegenheit für Rückschau, Neuausrichtung und inneres Reifen. Es geht mal wieder um die große Frage:
Tell me, what else should I have done? Doesn’t everything die at last, and too soon? Tell me, what is ist you plan to do With your one wild and precious life?
Mary Oliver, Auszug: The Summer Day
Auch im Jahreskreis steht das Mittsommerfest für den Übergang von der ersten in die zweite Jahreshälfte. Man kann in der Jahresmitte Inne halten und gemeinsam mit anderen am Sonnenwendfeuer oder allein, in der Natur oder an einem Feuer oder Gewässer den Fragen nachgehen. Lasst euch in einer solchen Reflexion von eurer inneren Stimme leiten. Wichtig ist nicht, alle Fragen bis ins letzte zu durchdenken oder auf alle Fragen Antworten zu bekommen. Spüre einfach, welche Fragen für dich gerade wichtig sind. Schaue einfach was spontan in dir auftaucht, wenn du dir diese Fragen stellst und was dir bedeutungsvoll erscheint. Vertraue dir und deiner inneren Weisheit. Vielleicht kannst du auch spüren, wie es sich im Körper anfühlt und ob ein bestimmtes Gefühl auftaucht. Wer mag kann seine Erkenntnisse aufschreiben und symbolisch dem Feuer oder Wasser übergeben.
Rückschau
Was habe ich in der ersten Jahreshälfte gelernt – über mich, andere, das Leben?
Was möchte ich an Erkenntnis mit in die zweite Jahreshälfte nehmen?
Gibt es etwas, mit dem ich abschließen möchte, das ich hinter mir lassen möchte?
Neuausrichtung
Wem oder was möchte ich in der zweiten Jahreshälfte mehr Aufmerksamkeit schenken?
Was möchte ich zur Reife bringen?
Sonnenkraft – Leben und Tod
Im Jahreskreis befinden wir uns nun am Mittag, dem Höhepunkt des Tages. Zur Sommersonnenwende wird die Kraft des Lichtes und der Sonne gefeiert. Wir spüren in uns und der Natur um uns herum große Kraft und Energie und sind angeregt, vom blauen Himmel, den weißen ziehenden Wolken und der Wärme und Helligkeit. Zur Sommersonnenwende können wir die Lebensfreude,Wärme und Liebe feiern.
Zugleich wird in den heißen Sommertagen deutlich, dass die starke Sonnenenergie auch zerstörerische Kräfte besitzen kann. In den heißesten Tagen verdorren und verbrennen die Pflanzen. Die Leben schenkende Kraft kann das Leben auch wieder zerstören und damit das Jahresrad weiterdrehen und Raum schaffen für neues Leben.
Es wird deutlich: Leben und Tod sind untrennbar miteinander verwoben. In der Hitze des Sommers spüren wir, dass Leben auch Dunkelheit braucht, die Kühle des Schattens und Erfrischung der Nacht. Es wird klar und erfahrbar, das Leben nur mit beiden Aspekten vollkommen und ganz ist. Im Licht können wir die Dunkelheit schätzen und in der Dunkelheit das Licht.
Die Zeit der Sonnenwende wird mit den großen roten Muttergöttinnen in Verbindung gebracht. Die feurig-heiße Sonnengöttin, die Leben schenkt und zerstört, steht in enger Verbindung mit ihrem Gegenpol der kühlenden Mondgöttin. Als Archetyp dieser mütterlich-nährenden und schützenden Göttin ist die Namensgeberin des Juni – die römische Göttermutter Juno – zu nennen. Die ihr in der griechischen Mythologie entsprechende Muttergöttin Hera wurde in der patriarchalisch geprägten griechischen Kultur häufig als eifer- und rachsüchtige Gemahlin des untreuen Göttervater Zeus dargestellt. In einer früheren mehr matriarchalischen Zeit war Juno oder Hera die Mutter, die für Schutz und Nahrung sorgte. Sie war der Archetyp der empfangenden und offenen Frau. Göttinnen, die in anderen Kulturen diese Lebensqualitäten, die in allen von uns – ob Mann oder Frau – stecken, verkörpern sind etwa die germanische Frigg, die indische Lakshmi, die ägyptische Isis oder die irische Sonnengöttin Aine.
Diese Göttinnen verkörpern einen wichtigen Aspekt im Leben: Fülle. Innerer und äußerer Reichtum können nur entstehen, wenn wir richtig genährt sind, wenn unsere Bedürfnisse gestillt sind. Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl sind essentiell um in innerem und damit auch äußerem Frieden zu leben. Wir können lernen, uns um uns selbst zu kümmern: Was ist da in uns, dass Aufmerksamkeit und Mitgefühl braucht? Welche verletzten und ungeliebten Teile von uns wollen sein dürfen – gehalten, angenommen und genährt werden? Was brauche ich jetzt gerade?
Innerer Reichtum: Shine your light
Zur hellsten Zeit des Jahres können wir uns auch an unserer eigenes Licht erinnern und dürfen strahlen und es mit anderen teilen. In uns allen ist eine Fülle vorhanden, wie wir sie jetzt im Außen in der Natur wahrnehmen können. Alles, was wir brauchen, können wir auf die eine oder andere Weise in uns selbst finden.
Innerer Reichtum ist nur einen Schritt von uns entfernt. Wir können ihn entdecken, indem wir unsere Wahrnehmung auf unser Innerstes richten. Wenn sich die Blütenblätter unseres Herzens öffnen, sehen wir erstaunt, wie viel Räume unser Innerstes hat, in denen tiefe Liebe, Zufriedenheit, Fülle, Frieden und Glückseligkeit wohnen. In einem solchen Moment fehlt uns nichts. Wir empfinden keinen Mangel, keinen Neid, keine Angst. Wir hören auf zu urteilen und spüren, dass alles vollkommen ist, wie es ist. Genau dann ist es uns möglich, uns selbst liebevoll in die Arme zu nehmen und unser eigenes Potential zu entfalten.
Die Esche, Allgäu Kräuterwerkstatt
Zauber des Sommernachtstraums
Die lauen und hellen Mittsommernächte sind voller Zauber. Schon unsere Vorfahren gingen davon aus, dass in diesen Nächten die Grenzen zu Anderswelt verschwimmen – die Grenzen zwischen Traum und Wachsein, zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen Sichtbarem und Unbewussten. Für die Kelten und Germanen ist das Sichtbare und das Unsichtbare eins. Die Anderswelt, die Welt des nicht Sichtbaren, des Traums und der Phantasie, ist eng verwoben mit der greifbaren Wirklichkeit. Das Jenseits ist für die Kelten nicht ein vom Diesseits getrennter Ort, an dem man nur nach dem Tod gelangen kann. Das Sichtbare und Unsichtbare geht auseinander hervor und ineinander über. Jeder hat Zugang zur Anderswelt, nicht nur Priester und Tote. Der Übergang in die andere Welt konnte an besonderen heiligen Orten, wie Brunnen, Quellen, Bäume, Weggabelungen oder Berge erfolgen. Solche Übergange finden sich häufig noch in den überlieferten Märchen, etwa dem Märchen von Frau Holle. Die Trennung zwischen der sichtbaren und der nicht sichtbaren Welt soll aber auch besonders an den Jahreskreisfesten als Schwellentage besonders dünn gewesen sein. In vielen alten Geschichten tanzen die Feen und Elfen in den weißen Nächten durch unsere Welt. Diese alten Mythen hat Shakespeare ganz wunderbar in seinem Sommernachtstraum verarbeitet, wo sich zur Sonnenwende die phantastische Welt der Elfen und Träume mit der Welt der Menschen vermischt.
Die Mittsommernächte sind eine Einladung, uns von engen, meist unbewussten Vorstellungen, Überzeugungen und Konzepten über die Wirklichkeit zu lösen. Wir können unsere Wahrnehmung öffnen für den Zauber, das Magische, das Transformierende und das Wunder in der Natur, in uns und den Menschen zu spüren und wertzuschätzen. Wir haben es in der Hand:
Dein Geist ist der Schöpfer dieser Welt.
Buddha
Wir können in die Natur gehen und schauen, was sich uns zeigt. Wir können uns dafür öffnen, wie die Natur, die Tiere und Pflanzen, das Wetter und das Wasser der Himmel und der Wind mit uns auf ihre ganz eigene Weise sprechen. Wir können wieder lernen zu hören, was sie uns sagen und was sie uns lehren.
Möge der Zauber des Umschwungs inneres Reifen, Verwandlung, Loslassen und Neuausrichtung bewirken. Möget ihr voller Lebensfreude am Feuer durch den Sommernachtstraum tanzen und euer Licht in die Welt strahlen lassen.
Ach! Ist es nicht eine Freude am Leben zu sein!
Quellen: Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; O'Donohue, John: Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit; Storl, Wolf Dieter: Pflanzen der Kelten; Kirschgrube, Valentin: Von Sonnenwend bis Rauhnacht; Anaconda: Das Buch der keltischen Mythen; Nitschke, Adolfine: Räuchermomente im Jahreskreis; Krämer, Claus: Mythen und Sagen der Kelten
Um den 1. Mai ranken sich eine Reihe von Mythen und Feste mit vorchristlichen Wurzeln – so das keltische Fest Beltane und die germanische Walpurgisnacht. Es sind Mythen, die bis heute in vielen Bräuchen weiterleben. Das keltische Beltane, dass voller Lebenslust, Freude und Ausgelassenheit den Beginn des Sommers feiert, gehört im keltischen Jahreskreis zu den vier Mondfesten. Es kann auch am 5. Vollmond des Jahres festgemacht werden. Das nun beginnende Sommerhalbjahr wurde bei den Kelten Jahrestag genannt, während das zu Samhain beginnende Winterhalbjahr die Jahresnacht war.
Zeitqualität: Süd-Osten – Frühsommer
Im Jahreskreis beginnt nun der Frühsommer. Alles blüht nun auf. In der Natur wird dies durch blühende Weißdorn-, Holunder- und Wildrosenbüsche angezeigt (phänomenologische Zeigerpflanzen). Die ersten Mohnblüten blühen und die ersten Grillen zirpen. Im Mai blüht außerdem der Waldmeister, aus dem die bekannte Mai-Bowle hergestellt wird.
Von den Himmelsrichtungen befinden wir uns im Süd-Osten, im Tagesverlauf am Vormittag, der auf die heisseste Zeit am Tag, den Mittag zugeht. Im Leben eines Menschen kann man diese Zeit mit der Lebensphase eines jungen Erwachsenen von zwanzig bis Mitte dreißig gleichsetzen, der voller Kraft im Leben steht. Auch das Thema Fortpflanzung und Nachwuchs fällt in diese Lebensphase. Nach dem Neubeginn, der Geburt im Frühling, geht es im nun beginnenden Sommer um Wachstum und Entwicklung.
Die Themen des nun beginnenden Sommers sind Körperlichkeit, Körper, Gefühle, Sinnlichkeit, Genuss und Sexualität. Im beginnenden Sommer kann der Körper mit seinen Sinnen all die verschiedenen Gerüche, Geschmäcker, Texturen, Formen und Farben wahrnehmen. Es geht um die körperliche Empfindung dieser Welt. Der Archetyp der Liebhaberin und des Liebhabers ist dem Sommer, dem Süden zugeordnet und passt wunderbar zum Fest Beltane. Jetzt geht es um pure Lust am Leben, Liebe und Leidenschaft. Für unsere Instinkte und Emotionen ist der älteste Teil unseres Gehirns, das Stammhirn und das limbische System verantwortlich. Dieser Teil des Gehirns wird auch als „Survival-Brain“ bezeichnet. Denn hier sind die uralten Überlebensstrategien in Notsituationen – Verteidigung, Fliehen, Erstarren und Beschwichtigen (fight, flight, freeze und appease) – verortet. Im nun beginnenden Sommer geht es dementsprechend um das Ego, sein Wohlbefinden und sein Überleben.
Fruchtbarkeit und Heilige Hochzeit – Vereinigung und Ganzheit
Die jungfräuliche weiße Göttin des Frühlings wandelt sich zu Beltane zur fruchtbaren und sinnlichen roten Göttin der Fruchtbarkeit, Schönheit und Liebe – wie etwa die germanische Göttin Freya, die griechische Göttin Aphrodite oder die ihr entsprechende römische Göttin Venus.
Es gibt viele Mythen und Symbolik, die sich um die Heilige Hochzeit der Götter ranken. So etwa um den keltischen Gott Bel oder Belenus, der das Winter- und Frühlings-Bärenfell aus dem Märchen Schneeweißchen und Rosenrot nun ablegt. Nun kommt seine erwachsene feurige Sonnenkraft zum Vorschein. Damit verbindet er sich sich mit der Blumengöttin Belisama (anderer Name der keltischen Erd- und Muttergöttin Dana). Der Sonnenstrahl befruchtet die Erde im Liebesakt und bringt neues Leben hervor. Belenus wird auch als Namensgeber für das Fest Beltane ins Spiel gebracht. „Bel“ bedeutet strahlend, glänzend und „Tene“ oder „Teine“ steht für Feuer. Beltane ist also das Fest der strahlenden Sonne.
Im Germanischen ist die Götterhochzeit als Brautwerbung des Fruchtbarkeitsgottes Freyrs oder Odins bzw. Wotans um die Liebesgöttin Freya überliefert. Aber auch andere Kulturen kennen diese Symbolik. So ist etwa der griechische Fruchtbarkeitsgott Dionysos aus der Verbindung des himmlischen Göttervaters Zeus mit der Sterblichen Semele (Bedeutung des Namens: Erdenbewohnerin oder Erde) hervorgegangen.
Noch heute finden sich anknüpfend an das heilige Paar alte Bräuche um die Maikönigin und den Maikönig. Die Maikönigin wird in vielen Dörfern als Stellvertreterin für die Liebesgöttin gewählt. An manchen Orten wird sie auf die Felder herausgetragen, um dort für Fruchtbarkeit zu sorgen.
Bei der heiligen Hochzeit geht es um die Vereinigung von Himmel und Erde, von Männlichem – Yang, Himmel, Sonne, Licht, Aktivität, Kraft, Geist, Nehmen, Longing / Verlangen / Wollen – und Weiblichem – Yin, Erde, Mond, Dunkelheit, Ruhe, Gelassenheit, Körper, Erfahrung, Geben, Annehmen, Belonging / Angenommen, Gestillt, Genährt sein. Die Vereinigung dieser unterschiedlichen Qualitäten – von Männlichem und Weiblichem – ist fruchtbar und bringt neues Leben hervor.
Was können wir von dieser Symbolik für unser Leben fruchtbar machen?
Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass alles Leben von verschiedenen Qualitäten und Kräften braucht. Nur so entsteht Ganzheit. Es ist der lebensnotwendige Lauf der Dinge, dass mal die eine, mal die andere dieser unterschiedlichen Kräfte mehr Raum einnimmt. Befinden sich die Kräfte jedoch dauerhaft in einem starken Un-Gleichgewicht können wir häufig feststellen, dass dies das Leben bzw. die Lebensqualität beeinträchtigt.
Beltane, das Fest der Vereinigung und Fruchtbarkeit kann eine gute Gelegenheit sein, der Frage nachzugehen: Wie sieht dieses Thema gerade bei mir aus?
Welche Kräfte bzw. Qualitäten sind bei mir im Moment stark ausgeprägt, welche eher schwach? Wovon habe ich zuviel und wovon brauche ich mehr, damit ich aufblühen kann?
Gibt es Kräfte bzw. Qualitäten, die ich vielleicht (unbewusst) bevorzuge, die gut zu meinem Selbstbild passen?
Gibt es Kräfte bzw. Qualitäten, die ich eher ablehne, denen ich nur ungern Raum gebe, weil ich mich nicht gut mit ihnen identifizieren kann?
Wie könnten Kräfte bzw. Qualitäten, die ich eher ablehne, fruchtbar für mich sein? Kann ich hier mit meiner Bewertung und der Perspektive spielen?
Welche Kräfte bzw. Qualitäten sind in meiner Lebenssituation gerade besonders hilfreich und fruchtbar?
Unbändige Freude und Lebenslust
Das Lebensgefühl des Mai ist Befreiung von Dunkelheit und Enge. Der helle und warme Jahrestag beginnt. Und im übertragenen Sinn geht es auch um das Ausbrechen aus einengenden Denk- und Verhaltensmustern!
Wir befinden uns im Süd-Osten. Nach dem naturpsychologischen Entwicklungsmodell und Lebensrad der Vier Schilde (Meredith Little/Steven Foster) ist es Wesen der Ost-Qualität, geltende Normen und Denkmuster zu hinterfragen und zu erneuern.
In meiner Kindheit wurde und auch heute noch wird dem noch durch teilweise grenzwertige Streiche in der Walpurgis-Nacht Ausdruck gegeben. In der Walpurgis-Nacht bestand in meiner Gegend in der Mitte Deutschlands die ungeschriebene Erlaubnis, dass man Menschen, die sonst die Regeln aufstellten wie Eltern, Lehrern oder Nachbarn, einen Denkzettel-Streich verpassen durfte (z.B. Eier gegen das Haus werfen).
Seit alten Zeiten gibt es solche bereinigenden Gelegenheiten, bei denen die geltenden Regeln außer Kraft gesetzt werden und die Mächtigen entmachtet werden (siehe hier auch den Beitrag Karneval). Solche Bräuche konnten einem Erstarren von Regeln entgegenwirken. Regeln und die, die sie aufstellen, durften lächerlich gemacht und ungestraft kritisiert werden. In der Walpurgis-Nacht konnten so bestehende Regeln ungestraft in Frage gestellt werden, um eine Erneuerung von Normen und Denkmustern zu fördern (Ost-Qualität).
In der Natur wird diese Erneuerung mit einer unbändigen Lebenslust und Lebenskraft begleitet. Der Winter ist spätestens nach dem Besuch der germanischen Frostriesen bzw. christlichen Eisheiligen (11. bis 15. Mai) endgültig vorbei. Neue pralle und überschäumende Lebensfreude und Kraft sind mit dem Erstarken der Sonne überall zu spüren und zu sehen – im Wachstum der Pflanzen und dem Tollen der Tierkinder.
Dieser – nach dem langen Winter unbändigen – Lebensfreude wurde früher und auch heute noch mit ausgelassenen Freudenfesten Ausdruck gegeben. Eines dieser alten Feste, dass auch heute noch bekannt ist, ist die bereits erwähnte Walpurgis-Nacht. Walpurgis war die vorchristliche Maigöttin, die später als heilige Walpurga christianisiert wurde. Walus bezeichnet im Germanischen den Stab oder Zauberstab der germanischen „Zauberer“, der weisen Männer und Frauen. Vala ist die germanische „Zauberin“ oder Seherin. Walaruna ist eine Seherin, die die Geheimnisse kennt, also ein besonderes „Zauber“-Wissen hat. Die germanische Namensherkunft deutet also auf Männer und Frauen mit einem besonderen Wissen („Zauber“-Wissen) und einer besonderen Funktion in der Gesellschaft hin. Bei den Germanen trafen sich in der Walpurgisnacht diese Frauen und Männer an ausgewählten Plätzen auf umwaldeten Berganhöhen. An großen Freuden-Feuern mit Musik, kultischen Tänzen und Ritualen, wie dem über die Flammen Springen, wurde die Fruchtbarkeit und das neue Leben gefeiert. So entstanden wohl auch die Mythen von der Hexennacht und dem Hexensabbath, etwa am Blocksberg, Melibokus oder Brocken im Harz, wo die Hexen rund um ein großes Feuer auf ihren Besen durch die Lüfte ritten. Diese Geschichten wurden dann – verbunden mit viel Leid – auch im Mittelalter in der Zeit der Hexenverfolgung, aufgegriffen.
Lebendiges altes Brauchtum
Trotz all dem ist viel von dem vor-christlichen Brauchtum bis heute lebendig geblieben. So gibt es auch heute noch Streiche von jungen Menschen zur Walpurgisnacht und ausschweifende Tanz in den Mai-Feiern, die der neu erwachenden Lebensfreude des herannahenden Sommers Ausdruck verleihen.
In vielen Gegenden wird ein geschmückter Maibaum aufgestellt, ob in der Dorfmitte oder unter dem Fenster der Liebsten. Der Maibaum kann als Phallus-Symbol gedeutet werden, der für die schöpferische Kraft des Himmels steht. Mit bunten fröhlichen Bändern geschmückt wird er in die das Leben gebärende Erde gerammt. Auf diese Weise versinnbildlicht er auch die göttliche Hochzeit. Zugleich steht der Maibaum auch für den aus der germanischen Kultur stammenden Weltenbaum – Yggdrasil – der die Menschenwelt Midgard mit den Welten der Götter und anderen Wesen verbindet. Auch hier ist wieder das Thema der Götterhochzeit, die Vereinigung von Himmel und Erde, zu finden.
Das Umwickeln des Baumes mit bunten Bändern verwebt buchstäblich das Schicksal der Menschen mit dem Baum des Lebens und seinem Segen.
Wir können die Energie des Mai zum Anlass nehmen und erforschen, wie sich die unbändige Lebenskraft und Freude, die in jedem Lebewesen steckt, sich in unserem Alltag zeigt:
Wo bin ich voller Lebenskraft und Freude?
Und in welchen Bereichen bin ich in meiner Lebenskraft und Freude eingeschränkt? Wo schränke ich mich vielleicht selbst ein? In welchen Bereichen meines Lebens fehlt es an Leidenschaft, Freude und Leichtigkeit?
Was braucht es, um fruchtbare Prozesse voranzubringen? Was brauche ich, damit die Lebenskraft und Lebensfreude ungehindert fließen kann?
Aufblühen und das Leben spüren – Sinnlichkeit und Lebendigkeit
„We need to come home to the temple of our senses. Our bodies know they belong to life, to spirit. It‘s our minds that make our life’s so homeless. Guided by longing, belonging is the wisdom of rhythm. When we are in rhythm with our own nature, things flow and balance naturally.
John O‘Donohue, Eternal Echo
Der Wonnemonat-Mai ist der Monat der Sinnlichkeit, der Lust und des Genusses, des Blühens. Es geht um Körperlichkeit.
Es ist eine Einladung dafür, dass wir uns Zeit nehmen zum Spüren – mit allen Sinnen. Das Schmecken der frischen Kräuter, der ersten Gemüse und der ersten Erdbeeren. Das Riechen der kräftigen Blütengerüche – allen voran der stark duftenden Weißdorn-, Flieder- und Holunderblüten – oder des würzigen Bärlauchs. Das Sehen des satten frischen Grüns der Wiesen, Bäume und Sträucher, der blühenden Farben der Blumen nach der farblosen Winter-Landschaft. Das Spüren der wärmenden Sonne und des frischen, weichen Grases auf der Haut.
Und nicht zuletzt das Rein-Spüren in den Körper:
Was kann ich gerade wahrnehmen in meinem Körper? In welchem Körperteil spüre ich welche Empfindung? Kann ich all meine Körperteile spüren, auch den mittleren Zeh, mein linkes Knie, den rechten Unterarm?
Welche Stimmungen, Gefühle und Gedanken sind jetzt gerade da? Und wo in meinem Körper kann ich sie spüren? Von Moment zu Moment – was verändert sich?
Wir Menschen verbringen mittlerweile viel mehr Zeit drinnen, als draußen. Im Vergleich zu unseren Jäger- und Sammler-Vorfahren sind wir in unserem Lebensalltag daher nicht mehr so auf unsere Sinneswahrnehmung angewiesen. Folge davon ist, dass unsere Sinneswahrnehmung zum Teil nicht mehr so fein ist. Es ist eine wertvolle Übung immer wieder im Tageslauf Innezuhalten und bewusst zu spüren – was kann ich wahrnehmen, sehen, hören, riechen, fühlen, schmecken.
Das kostet etwas Kraft und die entsprechende Absicht. Wir sind gewohnt uns ständig aktiv zu halten, uns abzulenken von dem bewussten Wahrnehmen unserer Körperempfindungen. Wir sind in unserer schnellen und rational-dominierten Gesellschaft so oft im Denken, dass wir gar nicht mitbekommen, was in unserem Körper los ist. Wir können beobachten, dass wir in unseren Gedanken oft in der Vergangenheit oder Zukunft sind. Weg von dem, was jetzt gerade ist. Wir sollten das Denken aber auf keinen Fall verteufeln. Denken ist nicht per se schlecht, sondern ein wunderbares Geschenk – es geht auch hier ums Gleichgewicht, den mittleren Weg, ein Ausbalancieren zwischen den Extremen. Nicht entweder Denken (Nord-Qualität) oder Körperlichkeit (Süd-Qualität), sondern „und“ das auch!
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Zugang zur Wirklichkeit, zum Leben, zu uns selbst und anderen letztlich nur über unseren Körper bekommen, durch unsere Sinne, durch das unmittelbare Erfahren der Wirklichkeit. Der Körper mit all seinen Sinnen ist das Tor zu dieser Wirklichkeit. Und das Spüren öffnet die Möglichkeit in eine echte Verbindung zu mir, zu den anderen und zu dieser Welt zu kommen. Wirklich mitzubekommen, was bei mir und bei dem anderen gerade da ist – ohne zu werten, liebevoll, geduldig und voller Freude an der Wirklichkeit, an dem, was gerade da ist. Und wir müssen nicht den Mut verlieren, wenn wir immer wieder in die Trance des Nicht-Spürens und des Nicht-Mitbekommens abgleiten. Jede Gelegenheit bei der wir uns wieder daran erinnern und üben, zu spüren, macht einen Unterschied und verändert unsere Verhaltensmuster und neuronalen Denkstrukturen im Gehirn. Wenn wir spüren, was gerade da ist, dann ist sind das nicht immer nur angenehme Erfahrungen. Die Wirklichkeit ist manchmal auch unangenehm. Das Sehen und Anerkennen, von dem, was ist und wie es ist, ist aber immer auch ein Stück befreiend und in jedem Fall lebendig!
This very body that we have, that’s sitting right here right now… with its aches and its pleasures… is exactly what we need to be fully human, fully awake, fully alive.
Pema Chödrön
Möget ihr bewusst und wach das Leben so erfahren und spüren, wie es ist. Möget ihr voller Freude an dieser wunderbaren Welt mit ihren reichen Geschenken und an unserm wunderbaren Körper sein.
Lasst uns das Leben und die Freude feiern!
Quellen: Kaiser, Martina, Der Jahreskreis; Storl, Wolf Dieter, Pflanzen der Kelten; Foster, Steven / Little, Meredith: Die vier Schilde, Invitationen durch die Jahreszeiten der menschlichen Natur; Rätsch, Christian: Der heilige Hain, Germanische Zauberpflanzen, heilige Bäume und schamanische Rituale.
Ich habe die Aufgabe bekommen, etwas Heiliges zu finden, am besten in der Natur. Das hast mich zum Nachdenken angeregt. Was ist für mich „heilig“ und was nicht? Was bedeutet „heilig“ überhaupt?
Subjektive Wahrnehmung
Es fällt mir leicht, etwas Heiliges in der Natur zu entdecken. Ich denke, dass hat mit meiner Überzeugung zu tun, dass in der Natur alles „beseelt“ ist und einen Wert hat. Etwas ist heilig für mich, weil ich ihm diese Bedeutung beimesse.
Das ist ein sehr subjektiver Akt. Meine Wahrnehmung von dem, was heilig ist, kann sich mit der Wahrnehmung anderer Menschen decken. Dass ist umso wahrscheinlicher, wenn wir aus demselben Kulturkreis kommen, ähnlich sozialisiert sind und unsere Wertvorstellungen sich ähneln.
Bewusste oder unbewusste Entscheidung
Ich habe oft darüber nachgedacht, was das Wort „heilig“ für mich bedeutet. Besonders dann, wenn ich es meinen Kindern erklären wollte. Heilig bezeichnet für mich, etwas Besonderes. Etwas Heiliges ist etwas, dass für mich eine besondere Bedeutung hat, weil ich ihm aufgrund meiner Erfahrungen und Wertvorstellungen eine besondere Bedeutung beimesse. Das kann eine bewusste oder unbewusste Entscheidung sein.
Verbindung zur nicht-sichtbaren Vorstellungswelt
Es geht um Vorstellungskraft und Glauben. Etwas wird für mich heilig, weil ich es mir vorstelle. Etwas ist für mich heilig, weil ich daran glaube, dass es heilig ist. Dass ist zunächst ein innerer Akt, der für andere nicht ohne Weiteres sicht- und nachvollziehbar ist. Es mir bewusst zu machen und etwas ehren als etwas Besonderes, dass herausgehoben ist aus der alltäglichen Welt, aus dem alltäglichen Erleben, kann für mich Bedeutung schaffen im Leben. Das steckt auch Selbstwirksamkeit drin. Ich kann meinem Leben bewusst Bedeutung geben. Wenn wir dem Heiligen Raum geben in unserem Leben, kann das Verbindung zu einem größeren Ganzen schaffen. Auch wenn wir das in unserer wissenschaftsorientierten Welt oft nicht wahrhaben wollen, wissen wir Menschen nur wenig. Die Anbindung an das Heilige hat uns seit altersher Vertrauen gegeben und eine Verbindung zum Mysterium Leben geschaffen. Das hat aus meiner Sicht heute die gleiche Relevanz wie früher.
Den eigenen Glauben teilen
In der menschlichen Kulturgeschichte wurden die eigenen Vorstellungen davon, was heilig ist, immer wieder mit anderen Menschen geteilt. Darum geht es letztendlich im Zusammenhang mit Religion und Glaubensvorstellungen, aber auch anderen gesellschaftlichen Glaubens-Vorstellungen, wie dem Glauben an unsere Wirtschaftsordnung, den Glauben an Nationen und Staaten, den Glauben an bestimmte Werte, etwa den Menschenrechten.
Ich merke, dass ich das Teilen von Glaubensvorstellungen fast automatisch als etwas Negatives bewerte. Das hängt sicherlich mit den vielen negativen Aspekten zusammen, die sich in der Menschheitsgeschichte durch blinden Glauben und dem Missbrauch des Glaubens von Menschen durch Priester, Herrscher und Mächtige gezeigt haben.
Die verbindende Kraft des Glaubens
Aber ich sehe auch, dass das Teilen von Glaubensvorstellungen viele positive Aspekte hat. Dadurch kann das Gefühl einer besonderen Verbundenheit und heilsame Gemeinschaft entstehen. Die Spezies Mensch hat vor allem auch deswegen so gut auf dieser Erde überlebt und sich so stark ausbreiten können, weil sie an dieselben Geschichten geglaubt haben.
Unsichtbares sichtbar machen
In der Entwicklung vom Affen zum Menschen haben wir eine immer stärkere Vorstellungskraft entwickelt. Dadurch konnten wir uns immer besser etwas vorstellen, was nicht sichtbar war. Vielleicht sind die ersten Kunstwerke in der Menschheitsgeschichte, die beeindruckenden Höhlenmalereien (beispielsweise in Lascaux in Frankreich, aber auch überall auf der Welt) und kunstvoll verzierten Werkzeuge und Schmuckstücke, ein Zeichen dieser besonderen Vorstellungskraft. Hier wird das unsichtbare Seelenleben, die Vorstellungskraft unserer Vorfahren erstmals sichtbar und hat einen Ausdruck gefunden.
Heilsame Verbindung
Der Glauben an eine heilige Sache – die heilige Jagd, an heilige Götter und an eine gemeinsame Zukunft – hat die Zusammenarbeit in großen Gruppen für Ziele, die in der Zukunft liegen, möglich gemacht. Wenn wir unsere Vorstellung davon, was Heilig ist, mit anderen teilen, ist tiefe Verbindung und Beziehung möglich.
Damit dies in einer heilsamen Art und Weise geschieht, ist es wichtig, dass dies aus einer eigenen inneren Überzeugung und freien Entscheidung heraus passiert und nicht durch Beeinflussung, Druck und blinde Übernahme der Glaubensvorstellungen von anderen.
Das heilige Oster-Ei des Neubeginns
Ich bin über die Schwelle in das kleine Wildnis-Gebiet am entlegenen Haus meiner Großeltern und meine Vaters gegangen und da lag sie – diese wunderschöne aufgebrochene Eierschal. Es hat mich sofort durchzuckt und ich wusste sofort, dass diese Eierschale für mich etwas Besonderes, etwas Heiliges, ein Zeichen ist. Vielleicht, weil ich nur selten ein Vogelei finde. Vielleicht, weil das Ei ein uraltes Symbol dafür ist, dass aus der Dunkelheit, etwas Neues, neues Leben entsteht. Und es kann kein Zufall sein, dass heute Ostern ist.
Was das heilige Ei mich lehrt
Das Ei ist wunderschön, blass bläulich und gleichmäßig mit blass braunen Sprenkeln verziert. Ich empfinde dieses Oster-Ei, wie ein Geschenk des Lebens an mich. Voller Möglichkeiten. Es braucht Zeit und Geduld, damit etwas Neues im Verborgenen Heranwachsen darf. Das Ei lehrt mich, dass ich mir Zeit nehmen darf. Ich kann den Prozess der Entstehens nicht beschleunigen. Wenn es soweit ist, braucht es Mut und Kraft, um die Schale zu durchbrechen und sich ins Unbekannte zu wagen. Wer nicht (innerlich) sterben will, muss sich ins Leben wagen – immer und immer wieder. Die zurückgebliebene Eier-Schale ist wunderschön. Sie lehrt mich, dass ich auch die Vergangenheit und den Weg ehren darf, der mich zu neuem Leben führt..
Reflexionsfragen
Was bedeutet für dich das Wort heilig?
Gibt es etwas, dass dir heilig ist?
Was ist dir heilig?
Teilst du deine Vorstellung darüber, was für dich heilig ist, mit Anderen?
Die Sonne geht im Osten auf, und wir erwachen aus unseren Träumen der Nacht.
Sabine Simeoni
Den Träumen, Visionen und Plänen des Winters. Die Zeit des Rückzugs und der Innenschau geht dem Ende zu. Wir stehen auf und ein neuer Tag beginnt. Die Frühjahrs-Tag und Nacht-Gleiche markiert den kalendarischen Frühlingsbeginn. Der alte Name des März ist Frühlingsmond oder Lenz, das den Wortstamm Länge in sich trägt und auf die länger werdenden Tage Bezug nimmt. Die Kelten und Germanen feierten das Erwachen der Erde mit ausgelassenen Festen und Fruchtbarkeitsriten. Viele Bräuche besonders rund um Ostern haben bis heute überdauert.
Die Göttin Ostara und das Osterfest
Festlichkeiten und Bräuche zum Frühjahrsbeginn und der Rückkehr des Lebens haben sehr alte Wurzeln. Die christliche Kirche hat dieses Thema in der Natur und die uralte Symbolik mit dem christlichen Osterfest und der Geschichte der Auferstehung aus dem Reich des Todes aufgegriffen.
Der Name Ostern kann auf die germanische Göttin Ostara oder Eostre zurückgeführt werden. Ostara oder Ostern ist sprachlich außerdem verwandt mit der Himmelsrichtung Osten, dem Ort des Sonnenaufgangs. Ostara war die Göttin der Morgenröte, die als junge, weiße Göttin die Energie des Aufbruchs und Lebens verkörpert. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um einen Beinamen der germanischen Göttin Freya handelt – Ostara also eine Verkörperung der Fruchtbarkeitsgöttin Freya ist. Diese Frühlingsgöttin fährt mit ihrem Wagen – gezogen von Hasen – durch das Land, fängt die warmen Sonnenstrahlen ein und erweckt die Erde zu neuem Leben. Es gibt zudem noch ältere Bezüge zu einer indoeuropäischen Göttin der Morgenröte, wie der indischen Usha, der griechischen Eos oder der römischen Aurora.
Am Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühjahrs-Gleiche wird das christliche Osterfest gefeiert. Mit dem Osterfest endet die 40-tägige Fastenzeit. Die Fastenzeit fällt in eine Zeit, in der sich früher die Wintervorräte dem Ende zuneigten und in der Natur nur wenig an Nahrung zu finden ist. Ostern ist das Fest des Todes und der Auferstehung. Thematisch sind damit die gleichen Themen angesprochen, wie bei den vorchristlichen Geschichten und Bräuchen zur Frühjahrs-Gleiche. Ende und Neubeginn, Wiedererstarken des Lichts nach der Dunkelheit. Und es geht auch um tiefe Zuversicht und Staunen. Das Wunder des Lebens wird aus dem Tod, aus dem Winter, der Nacht, dem Verborgenen geboren.
Alte Osterbräuche
Viele Osterbräuche ranken sich um das Erwachen des neuen Lebens aus der Dunkelheit und haben vorchristliche Ursprünge.
So ist das Ei ein uraltes Symbol für die Urquelle des Lebens, das im Dunkeln, im Verborgenen entsteht und ins Licht geboren wird. Der Brauch, Eier zu bemalen, ist ebenfalls uralt. Meist wurden die Eier rot als Zeichen der Erde, des Lebens und der Freude, gefärbt.
Der Oster-Hase mit seinen vielen Nachkommen und seiner großen Fruchtbarkeit wurde als heiliges Tier der Frühlingsgöttin Ostara bzw. Freya verehrt. Er zog ihren Wagen, mit dem sie über das Land zog und die Erde zu neuem Leben erweckte. In den Kulturen des Nahen Ostens hatte der Hase, der als eng verbunden mit dem Mond und seinen Kräften angesehen wurde, als Mondhase ebenfalls kultische Bedeutung. Zum Fest der Freya im Frühling wurden ihr Hasen geopfert und dienten als aphrodisische Opferspeise. Der Osterbraten ist auch heute nicht ein traditionelles Festtagsgericht zu Ostern.
In Süddeutschland wird zu Ostern aus sieben grünen Zweigen – Buchs, Eibe, Sadebaum, Thuja, Tanne, Fichte, Weidenkätzchen und Buche – ein Kranz gebunden und an einem Holunderkreuz auf einem Haselnussstock befestigt. Das vierspeichige Radkreuz wird mit bunten Ostereiern geschmückt. In der Kirche wird das Gebinde gesegnet. Im Anschluß wird es häufig am Gartentor aufgestellt, um die Bewohner des Hauses vor bösen Kräften zu schützen. Dieser Brauch geht schon auf die vorkeltische Bauernkultur zurück, die im Frühling Radkreuze mit grünen Pflanzen als Flursegen sonnenläufig um die Felder trugen.
Bei den Kelten und Germanen hatten Festlichkeiten zum Zeitpunkt der Frühjahrs-Tag-und-Nachtgleiche eine große Bedeutung, die den Frühling und das wiedererwachende Leben feierten. Dieses Fest zum Wiedererstarken der Sonne und des Lichts wurde früher mit großen und von Weitem sichtbaren Leuchtfeuern gefeiert. Dieser Brauch ist noch heute in Form der großen Osterfeuer lebendig.
Gleichgewicht – Licht und Dunkelheit
Licht und Dunkelheit halten sich zur Frühjahrs-Gleiche die Waage. Tag und Nacht sind überall auf der Welt für einen kurzen Moment gleich lang. Die gegensätzlichen Pole befinden sich für kurze Zeit im Gleichgewicht: Tod und Leben. Sterben und (Wieder)Geburt bzw. Auferstehung. Licht und Dunkelheit. Tag und Nacht. Kälte und Wärme. Innen und Außen. Abschied und Neubeginn. Ende und Anfang. Stille und Lebendigkeit. Ruhe und Aktivität. Mond und Sonne. Im Mondzyklus spiegelt sich das Gleichgewicht von hell und dunkel im zunehmenden Halbmond wider.
Und es wird klar – das jede Seite der gegensätzlichen Pole ihre Berechtigung, ihre eigene Qualität und tiefe Schönheit Inne hat. Leben braucht Energie. Jede Bewegung braucht die Antriebskräfte, die durch den ständigen Wechsel und die Anziehungskraft bzw. auch den Widerstand der Gegenpole zueinander entsteht.
Gleichgewicht ist ein Zustand, der in vielen Gebieten eine Rolle spielt. Oft wird Gleichgewicht und Balance als „das“ erstrebenswerte Ziel dargestellt. Gleichgewicht in der Natur, der Gesellschaft, im Körper, Herz und Geist. Im Buddhismus wird der mittlere Weg zwischen zwei Extremen (bei Buddha zwischen Askese und Hedonismus) als Praxisweg zur inneren Befreiung gelehrt. Es wird davon ausgegangen, dass es ein Ausdruck von seelischer, psychischer und körperliches Gesundheit ist, wenn wir ausgeglichen und in Balance sind. Und das ist sicherlich auch nicht falsch. Wichtig ist aber, sich zu vergegenwärtigen das Gleichgewicht kein stabiler Zustand ist und als solcher vermutlich auch nicht gesund. Denn manchmal brauchen wir mehr Aktivität, beispielsweise um ein Ziel zu erreichen. Genauso gibt es Phasen in unserem Leben, wo wir mehr Ruhe benötigen.
Genau das spiegelt sich auch in der Natur wider. Die Natur – und so auch wir Menschen – sind voll von gegensätzlichen Kräften, Elementen und Qualitäten – heiß und kalt, hart und weich, flüssig und fest, stark und schwach, tot und lebendig, hell und dunkel. Die grundlegende Intelligenz der Natur bringt Gegensätzliches immer wieder in Balance. Dabei geht es aber nicht um das lineare Erreichen eines Ziels, dass einmal hergestellt für immer andauert. Im Gegenteil in der Natur ist Gleichgewicht als dynamischer Pendelprozess zu verstehen. Das können wir auch im Kreis der Jahreszeiten, im Tages- und Mondzyklus erkennen. Balance ist ein fließender Prozess der fortwährenden Anpassung, Veränderung und des Ausbalancierens. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es auch nicht gesund und heilsam ist, einen fixen Zustand des Gleichgewichts anzustreben.
Damit sich der Kreislauf des Lebens weiterdrehen kann, braucht es Gleichgewicht, aber auch Ungleichgewicht – Wachstum und Stillstand und etwas dazwischen. Wir können von der Natur lernen, dass es bei Balance nicht darum geht, einen „perfekten Zustand“ zu erreichen. Viel wichtiger ist die Pendel-Fähigkeit, die Hochs und Tiefs mit Gelassenheit zu nehmen. Ebenso wichtig ist es, ein Gefühl dafür zu bekommen, was es gerade braucht – Gleichgewicht oder vielleicht auch ein „Mehr“ oder „´Weniger“ einer bestimmten Kraft. Hier dürfen wir von der Weisheit der Natur lernen. Im Jahreskreis bilden etwa die gegensätzlichen Kräfte der Jahreszeiten – Winter und Sommer, Frühling und Herbst – erst zusammen einen ganzheitlichen Wachstumsprozess. Ganzheit entsteht hier durch das Durchleben von unterschiedlichen und gegensätzlichen Qualitäten von Aktivität und Ruhe. Man kann hier ein Ineinanderfließen beobachten von Entstehen, Verwirklichung, Vergehen und Leere.
Wir können uns zur Frühjahrs-Gleiche daran erinnern, dass es letztlich darum geht, im Rhythmus der Natur und des Lebens zu sein. Wir sind natürliche Lebewesen. Damit ist diese natürliche Intelligenz des beständigen Pendelns und Ausbalancieren auch in uns vorhanden. Wir alle haben die Fähigkeit, mit dem Fluß des Lebens zu fließen, anstatt dagegen anzukämpfen.
Neubeginn
In der Natur stehen wir nun an der Schwelle eines neuen Lebenszyklus. Jetzt geht es los! Das was im Inneren und Verborgenen schlummerte, an Ideen, Projekten und Inspirationen drängt nun immer stärker an die Oberfläche. Aufbruchstimmung macht sich nun breit. Alles scheint nun möglich. Wir dürfen nun loslegen. Im Jahreskreis stehen wir symbolisch am Beginn einer neuen Zeit, im Osten, dem Sonnenaufgang. Der Frühling bringt das neue Leben in die Natur zurück.
In früherer Zeit wurde das Erwachen der Erde und der neue Wachstumszyklus mit Fruchtbarkeitsriten zu Ehren der jungen Erdgöttin (im deutschsprachigen Raum Erda, Erke, Berta, Hertha oder Gerda; in Nordeuropa Nerthus oder Jörg) gefeiert. Felder und Erde wurden gesegnet und ausgelassene Feste veranstaltet. Bei den Kelten war es der Hirschgott Cerunnos, der die Erdgöttin aus dem Winterschlaf wachküsste. Das Motiv der wiedererwachenden Lebenskraft ist in dem Märchen Dornröschen überliefert und findet sich auch in anderen Kulturen.
Ostern, Ostara bzw. die Frühjahrs-Gleiche stehen außerdem für die Zuversicht, dass wir zu Beginn eines jeden Zyklus, jedes Jahres, jeden einzelnen Tags und jeden einzelnen Augenblicks, neu beginnen können! Egal was war. Neustart! Das kann eine wundervolle und befreiende Haltung und Hoffnung sein.
Neue Lebenskraft und Erneuerung
Zur Zeit der Frühjahrs-Gleiche können wir die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen und eine Zeit des Umschwungs beobachten. Da ist Frühjahrsmüdigkeit UND da ist neue Lebenskraft. Doch das Pendel schwingt nun Richtung Kraft und Lebensfreude. Angesichts der Aufbruchstimmung in der Natur reißen uns die Frühlingsgefühle mit sich.
Wildkräuter sprießen überall und helfen die Frühjahrsmüdigkeit zu vertreiben. Das machen sich auch manche Tiere zu Nutze. Bären haben beispielsweise ein großes Wissen über die Wirkkräfte von Heilpflanzen bei Verwundungen oder Erkrankungen. Die Menschen früher wußten das und haben sich manches abgeschaut. Der Bärlauch ist eine solche Kraftpflanze der Bären, den die Bären zur Darmreinigung und Kräftigung nach dem Winterschlaf genutzt haben sollen.
Die Sonne gewinnt an Kraft und Wärme. Das Licht nimmt zu und verdrängt langsam die Dunkelheit. Die helle Hälfte des Jahres bricht nun an. Die Säfte fließen aus der Tiefe der Erde zurück in die Bäume und Sträucher. Sie bringen neues Leben und neue Farbe in die Welt. Bereits die Germanen zapften das im Frühjahr aufsteigende Wasser der Birken als Getränk. Falls ihr das Ausprobieren möchtet, achtet bitte gut auf die Birke und zapft nur kleinere Äste an.
Legt man den Zyklus des Menschenlebens über den Jahreskreis, so befinden wir uns nun an der Schwelle von der Kindheit in die Pupertät – den Übergang in das Erwachsenenleben. Dies ist eine Phase der radikalen Erneuerung. Gesellschaftlich gesehen bringen junge Menschen neue Ideen, Wertvorstellungen und kraftvolle Aufbruchstimmung ein. Dadurch wird für eine beständige Erneuerung der Gesellschaft gesorgt. Auf der persönlichen Ebene lassen wir in dieser Lebensphase viel zurück – unsere Kindheit mit allem, was dazu gehört. Wir erneuern sozusagen, wer wir sind, und werden nun langsam ein Erwachsener. Wir blicken – vielleicht auch mit ein wenig Unsicherheit und Angst – aber doch voller neuer Lebenskraft, Ideen und Träume in unsere Zukunft.
Erste Schritte – Verletzlichkeit und Mut
Man kann nun gut beobachten, dass die Knospen immer praller werden, bis sie aufplatzen und die ersten Blüten sich entfalten. Die ersten zarten hellgrünen Triebe und Keime kämpfen sich durch die Erde und zeigen sich. Sie sind verletzlich UND gleichzeitig voller neuer Kraft. Auch hier vereint sich wie so oft im Leben das scheinbar Gegensätzliche.
Die Tiere und Vögel kehren langsam aus dem Winterexil, der Winterstarre oder dem Winterschlaf zurück. Die Stille des Winters weicht lauten Vogelgesängen und Insektenbrummen. Die Küken und Vögel schlüpfen aus dem Ei und die Tiere bekommen ihre Babys.
Am Anfang braucht es oft viel Mut und Kraft, um erste Schritte in das Ungewisse und Unbekannte zu wagen. Ich kann in diesen Tagen die wackligen Schritte der jungen Kälber bei mir um die Ecke beobachten. Und es wird mir klar, dass es vollkommen natürlich ist, dass diese ersten Schritte vielleicht noch ängstlich und unbeholfen sind. Aber es lohnt sich, sich auf den Weg zu machen, auch wenn wir jetzt vielleicht das genaue Ziel noch nicht kennen. Jetzt ist die Zeit, um etwas Neues zu beginnen, etwas Neues in die Welt zu setzen. Wir können ernst machen mit unseren Plänen, ernst machen mit unserem kostbaren Leben. Unsere Träume, Visionen und Wünsche dürfen nun Gestalt annehmen und in der realen Welt umgesetzt werden (Martina Kaiser). Wir können säen, nähren und wachsen.
Im Frühling gibt es auch Gegenkräfte. Das Wetter ist oft wechselhaft. Es kann nochmal richtig kalt werden und auch Nachtfröste sind nicht ausgeschlossen. Die ersten Pflanzen sind zart und ungeschützt. Und dennoch wagen sie es. Sie wachsen und die ersten Blüten und Blätter öffnen sich. Der Name April kommt vom lateinischen Wort aperire = sich öffnen. Es heißt, der April öffne die Knospen und Blüten ebenso wie die Herzen der Menschen. Das kann man gut spüren, wenn die Sonne die Seele und das Herz nach langer Dunkelheit erhellt.
Ohne die Bereitschaft zur Öffnung kommen wir nicht in Kontakt zu der Kraft des Lebens, zu dem, wie das Leben wirklich ist. In jedem von uns Menschen ist ein zutiefst verletzlicher Kern, eine natürliche Verletzlichkeit. Bedingt durch die evolutionäre Konditionierung des für das Überleben verantwortlichen Teils des Gehirns schlummern in jedem Menschen Ängste, Unsicherheit und Unbehagen. Das ist zutiefst menschlich, da sich unsere Gehirne jahrtausendelang so entwickelt haben, um zu Überleben. Eine gesunde Angst war und ist ein wichtiges Gefühl, um gut durch gefährliche Situationen zu kommen.
Wer sich öffnet, wird zwar auch verletzlich. In Kontakt mit der eigenen Verletzlichkeit zu kommen, heißt aber auch in Kontakt mit sich selbst zu kommen. Und das bietet die Chance für Wachstum. Rückschläge und Widerstände gehören zum Wachstum dazu und fördern es sogar. Ihre Widerstandsfähigkeit bekommen die Pflanzen, in dem sie den Kräften der Natur ausgesetzt sind. Und auch in der Natur ist es so, dass nicht alle Pflanzen und Lebewesen es schaffen. So ist es auch mit unseren Ideen und Entwicklungen. Nicht alle Ideen erweisen sich als überlebensfähig. Das ist in Ordnung. Das Prinzip des „Try and Error“ ist tief in der Natur verankert. Wir dürfen immer wieder neu probieren.
Die Pflanzen im Frühling öffnen sich zunächst vorsichtig. Sie warten ab, wenn es kälter wird. Es kann klug sein, sich angemessen zu schützen. Auch wir Menschen legen uns Schutzstrategien zu, die zum Teil sehr sinnvoll und Überlebens notwendig sind. Manche Schutzstrategien können uns aber aus Angst vor Verletzung davon abhalten, uns zu öffnen und in Kontakt mit der Lebendigkeit des Lebens und mit uns selbst zu kommen. Solche Schutzstrategien – wie Wut, übermäßiges Essen, Ablenkung (Handy, Fernsehen) oder übermäßige Anpassung – können dafür sorgen, dass wir erstarren und in unserer Komfortzone bleiben. Wenn wir nie etwas Neues wagen, nie unsere Komfortzone verlassen, können wir nicht wachsen und uns lebendig fühlen.
Zur Frühjahrs-Gleiche kann ich mich damit auseinanderzusetzen, was „meine“ Schutzmechanismen und Verhaltensmuster sind. Das kann mir helfen, mich dafür zu öffnen, wer ich auch noch bin. Es geht darum mitzubekommen, was gerade da ist und liebevoll damit zu sein. Alles darf so sein, wie es ist – ob es angenehm oder unangenehm ist. Wir können behutsam einen Raum für unsere Ganzheit öffnen, in dem unsere Stärken, unsere strahlenden Seiten und unsere menschliche Verletztlichkeit sein darf. Dabei ist wichtig, dass wir uns hier nicht überfordern, sondern schauen, ob wir gerade Kapazitäten haben, uns unsere Verletzlichkeit und unsere Schutzschichten anzuschauen. .
Gute Wachstumsbedingungen und Wurzeln
Zu Beginn der neuen Wachstumsperiode geht es auch darum Wurzeln zu schlagen und das neue zarte und verletzliche Pflänzchen zu nähren. Wachstum ist nur möglich, wenn man über Wurzeln verfügt, die uns Halt und Stabilität und Nahrung geben. Es geht in dieser Zeit daher auch darum, sich eine stabile Basis und einen guten Nährboden zu schaffen und unser Augenmerk auf gute Bedingungen für inneres und äußeres Wachstum zu legen.
Vom guten Gedeihen der Pflanzen hing früher Leben und Überleben ab. Daraus haben sich wie oben bereits beschrieben zahlreiche Bräuche entwickelt- zum Segnen der Felder, etwa in Flurumgängen oder in vorchristlichen Frühjahrsriten zu Erweckung der Mutter Erde und zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttinnen und -götter.
Reflexionsfragen zur Frühjahrs-Gleiche
Der Jahreskreis kann uns gleich einem Kompass Orientierung geben, wo wir stehen und was für weitere Entwicklung gebraucht wird. In unserem Leben, unserer persönlichen Entwicklung, einer Beziehung, mit einem Projekt, einer Idee. Dazu können wir uns Reflexionsfragen stellen. Wir können Antworten auf die Fragen aufschreiben, mit den Fragen in die Natur gehen, sie mit in die Meditation nehmen. Zur Frühjahrs-Gleiche können folgende Fragen passen. Schau, was für dich gerade passend erscheint. Und nicht immer sind wir synchron mit den Jahreszeiten. Es kann auch sein, dass du feststellst, dass du dich gerade an einer anderen Stelle im Jahreskreis befindest.
Zunächst können wir nun bewusst Abschied nehmen von der Nacht, die eine liebevolle Lehrmeisterin in Geduld, Ruhe, Regeneration und Innerlichkeit ist:
Welche Schatten sind uns begegnet? Welche Ängste? Welche Träume sind in uns aufgestiegen? Welche Erkenntnisse hatten wir?
Dann können wir uns bewusst der Zeit des Lichts, der Wärme und des Liebens, des Handeln und Gestaltens und des Wachstums zuwenden:
Welche bislang verborgenen Wünsche und Visionen möchten jetzt an die Oberfläche ins Licht und gelebt werden? Welche im Winter geborenen Träume möchten jetzt erfahren, möchten gespürt und in mein reales Leben umgesetzt werden?
Welche Schutzstrategien habe ich, die mich davon abhalten, etwas Neues zu beginnen, meine Komfortzone zu verlassen und meine Träume zu verfolgen?
Was brauche ich, damit meine Vision, ein Projekt oder Plan in die Wirklichkeit umgesetzt werden und wachsen kann?
Passt alles oder kann ich noch etwas (auch etwas Kleines) verändern, eine neue Gewohnheit beginnen, die mir neue Räume für Wachstum und Lebendigkeit öffnet?
Was brauche ich, um im Frieden zu sein in meinem Leben, so wie es ist, mit allen hellen und dunklen Seiten?
Möget ihr durch die Höhen und Tiefen dieses Lebens mit Gelassenheit und Weisheit navigieren! Möget ihr den Mut haben, eure Träume Schritt für Schritt in die Wirklichkeit umzusetzen. Möget ihr eure Wurzeln und Träume nähren, damit sie zu starken Bäumen wachsen können, die den Himmel berühren.
Möget ihr den Frühling und die Rückkehr des Lebens feiern!
Eastern sun melt the cold from my bones Curtain rise, take the darkness from my eyes Breathing in, pulling life into my lungs as a child, I am born again.
Ayla Nereo
Quellen
Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; Sabine, Simeoni: Wildes Naturhandwerk; Kirschgruber, Valentin: Von Sonnenwend bis Rauhnacht; Rätsch, Christian: Der heilige Hain; Storl, Wolf-Dieter, Pflanzen der Kelten.
Ich habe wieder draußen übernachtet. Diesmal nicht allein (siehe hierzu den Beitrag: Alone – Draußen schlafen in der Wildnis), sondern zusammen mit Simone, einer anderen Wildnispädagogin, Bloggerin (OutZeit Blog) und Mitgründerin von Enter the Wild (Portal für Outdoor-Abenteuer & Naturerlebnisse). Ich habe mich zum ersten Mal getraut, eine Nacht in einem stärker frequentierten, stadtnahem Waldstück zu verbringen. Ich habe gespürt, wie die Kraft der Gemeinschaft motiviert, stark und mutig macht. Wir Menschen sind Rudeltiere. Ohne Gemeinschaft und Kooperation hätte sich der Mensch nicht so erfolgreich auf der Erde ausbreiten und überleben können. Das konnte ich wieder einmal unmittelbar erfahren. Und wenn man sich Zeit nimmt, herumstromert und eine Nacht unter freiem Himmel schläft, öffnet sich ein Raum für neue Lern-Erfahrungen, inneres Wachstum und Naturverbindung.
Gemeinschaft von Gleichgesinnten und das Gesetz der Anziehung
Am Ende meiner Wildnispädagogen-Ausbildung gab uns mein Mentor (Christian von Naturabenteuer Niederrhein) den Rat, dass wir uns mit Gleichgesinnten vernetzen sollten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Bedeutung dieser Worte noch nicht in seiner ganzen Tragweite begriffen. Nun merke ich Stück für Stück aufgrund eigener Erfahrungen, welche Kraft eine unterstützende Gemeinschaft von Gleichgesinnten hat.
Diese Unterstützung kann unterschiedlich aussehen. Wenn ich mich mit Gleichgesinnten Natur-Liebenden, Lebens-Forschern und Entdeckern vernetze, führt das dazu, dass das, was ich liebe, mehr Raum in meinem Leben bekommt. Dieser Umstand folgt dem Gesetz der Anziehung: Gleiches zieht Gleiches an. Ich kann bewusst etwas dafür tun und es mir leichter machen. So geht es mir beispielsweise mit meiner Komplizin Christina von der Wildnisschule NaWiDu. Zeitlich gesehen nimmt Natur, Wildnispädagogik, Naturachtsamkeit und altes Wissen über die Verbindung zur Natur in meinem Leben durch die Verbindung mit Gleichgesinnten mehr Zeit-Raum in meinem Leben ein. Die Gemeinschaft mit anderen wirkt sich aber auch auf die Qualität und Tiefe meiner Erfahrungen und meine Verbindung zur Natur aus. Ich kann viel von anderen lernen – an Wissen und an neuen Perspektiven. Ich bekomme neue Inspirationen. Ich werde in meiner Leidenschaft bestärkt, weiter zu lernen, mehr Raus zu gehen und selbst Natur-Erfahrungen zu machen.
Das wurde mir heute Nacht sehr klar. Ohne Simone hätte ich diese Nacht nicht draußen im Wald geschlafen. Natürlich ist es auch sehr wertvoll und eine ganz andere Art von Erfahrung, wenn man etwas alleine macht und schafft – wie alleine draußen zu schlafen (siehe hierzu den Beitrag: Alone – Draußen schlafen in der Wildnis). Diesmal hätte ich aber nicht draußen geschlafen, wenn Simone nicht den Impuls dazu gegeben hätte. Alleine fällt es mir oft schwerer, meinen inneren Schweinehund zu überwinden und die Bequemlichkeit eines weichen, geschützten und warmen Bettes gegen die harte Matratze und den Biwaksack im Wald bei Temperaturen um die 5 Grad einzutauschen. Wenn man etwas gemeinsam mit einem anderen macht, haben die Ausreden im Kopf oft weniger Überzeugungskraft. Es wird einfacher, die eigene Komfortzone zu verlassen und die eigenen Grenzen zu weiten. Die doppelte Energie ist einfach stärker als die Stimmen im Kopf: Frauenpower pur! Wie schön, dass unsere Übernachtung zufällig auf den Welt-Frauentag fiel.
Gemeinsam ist man stärker
Die Kraft der Gemeinschaft macht auch stärker. Nicht umsonst heißt es: „Gemeinsam ist man stärker“ oder „Wenn man Freunde hat, braucht man sich vor nichts auf der Welt zu fürchten“ (Janosch). Alleine hätte ich mich wahrscheinlich in diesem stadtnahen, hoch frequentierten Waldstück als Frau nicht getraut, eine Nacht zu verbringen. Zusammen mit Simone hatte ich keine Angst vor Übergriffen durch andere Menschen. Zusammen mit einem anderen ist es leichter, sich seinen Ängsten zu stellen.
Nachts wurde es tatsächlich sehr aufregend. Kurz nach der Dämmerung wurde es plötzlich ziemlich laut in dem ansonsten sehr stillen Nacht-Wald. Eine Rotte von mehreren Wildschweinen war in der Nähe deutlich zu hören. Vor Wildschweinen hatte ich immer Angst gehabt, wenn es um das Übernachten im Wald ging – sozusagen mein Angst-Endgegner. Tagsüber hatten wir bereits beim Herumstromern und Scouten nach einem guten Schlafplatz an anderen Stellen im Wald, Wühlspuren von Wildschweinen gefunden. Wir hatten unseren Schlafplatz extra in einiger Entfernung gewählt. Als die Rotte sich näherte, ging mein Adrenalinpegel ziemlich nach oben. Simone wusste dann, dass Wildschweine auf Lärm reagieren – zumindest, wenn sie noch in einiger Entfernung sind. Wir machten also Laute und raschelten mit dem Laub und Ästen, um die Wildschweine zu vertreiben. Tatsächlich haben sie sich dann entfernt und sind in dieser Nacht nicht wieder gekommen. Das war eine gute Erfahrung, die mir zukünftig mehr Sicherheit gibt.
Zwei- bis dreimal knallte dann in unmittelbarer Nähe noch richtig laut ein Jagdgewehr. Ansonsten blieb es in der Nacht ruhig. Dank Simones Gesellschaft verlief die Nacht – bis auf diese beiden Zwischenfälle – aber sehr angstfrei für mich. Alleine hätte das – wie ich bereits erfahren habe – vermutlich anders ausgesehen (siehe hierzu den Beitrag: Alone – Draußen schlafen in der Wildnis).
Neue Perspektiven – neue Erfahrungen
Simone und ich haben uns für den Biwaksack entschieden. Das hat uns den freien Blick auf einen wunderschönen klaren Sternenhimmel eröffnet. Wir beobachten, wie der helle Halbmond Richtung Westen zieht.
Im Biwaksack habe ich auch eine eher ungewohnte, neue Perspektive nach oben in die Baumkronen. Ich erkenne dadurch nochmal auf einer tieferen Ebene, dass jede Baumart sich vom Wuchs stark unterscheidet. Die majestätische, schnörkelige Eiche ist deutlich von der schlanken und geradlinigen Buche zu unterscheiden.
Tagsüber beim ziellosen Herumstromern und Scouten nach einem geeigneten Schlafplatz ist mir im reizreduzierten Winterwald schon aufgefallen, wie deutlich sich auch die Rindenmuster voneinander unterscheiden – die quergestreifte Kirsche, die längsgestreifte riffelte Eiche, die glatte Buche.
Mit der Dämmerung verstummt das laute Frühlings-Vogelgezwitscher. Es wird ganz still im Wald. Dann bekommen wir in dieser Nacht doch noch die Gelegenheit, unseren Hörsinn zu trainieren. Das ist ungewohnt, da bei uns Menschen der Sehsinn unsere Wahrnehmung stark dominiert. Es gibt einiges an Tiergeräuschen zu erlauschen und zu erraten. Und es ist spannend zu sehen, wie gut man die Bewegungsgeräusche den verschiedenen Tieren zuordnen kann. Da ist die laute Wildschweinrotte, die grunzt und im trockenen Laub herumwühlt. Dann hören wir ein einzelnes Tier. Wir rätseln – könnte das der Dachs oder Fuchs sein, dessen Bau wir beim Herumstromern entdeckt haben? Das Tier bemerkt uns und verfällt in „Galopp“. Jetzt ist es eindeutig als langbeiniges Reh zu erkennen. Im Verlauf der Nacht sind die langgezogenen Rufe einer Eule oder eines Kauzes zu hören. Morgens begrüßt uns der neue Tag – noch mit geschlossenen Augen – mit dem immer stärker einsetzenden Gezwitscher der Vögel. Als die Sonne zwischen den Bäumen aufgeht, ist alles wieder gut und auch die Schrecken der letzten Nacht vergessen.
Ich bin dankbar für diese Nacht und die Kraft der Gemeinschaft, die wieder eine Spur in meinem Leben und meinem Wachstumsprozess hinterlassen hat. Ich konnte beobachten, dass neue Lern-Erfahrungen Zeit und Raum brauchen. Dabei konnte ich die bestärkende Kraft der Gemeinschaft von Gleichgesinnten spüren. Ich habe erneut erfahren können, dass neue ungewohnte Perspektiven – mit dem Rücken auf dem Boden – helfen, neue Beobachtungen und Erkenntnisse zu sammeln.
Feste, an denen die gewohnte Ordnung einer Gesellschaft außer Kraft gesetzt wird und bestehende Verhältnisse umgekehrt werden, sind sehr alt und finden sich überall auf der Welt. Mächtige werden ohnmächtig – Unterdrückte übernehmen die Herrschaft, Frauen werden Männer – Männer werden Frauen, Starke werden schwach – Schwache stark. Hässliche werden schön – Schöne hässlich. Die bestehenden Regeln werden für kurze Zeit „verrückt“ und außer Kraft gesetzt. Die Ordnung der Welt spielt verrückt.
Bereits vor rund 5000 Jahren wurden in Mesopotamien Feste gefeiert, in denen für eine kurze Zeit die Bauern mit den Herrschern auf einer Stufe standen. Ob das Wort Fastnacht auf das vorchristliche Fest zur Wiedererweckung der Fruchtbarkeit, die Faselnacht, zurückgeht oder auf die am Aschermittwoch beginnende christliche Fasten-Zeit (Abend vor dem Fasten – mittelhochdeutsch Vastnaht), lässt sich nicht eindeutig klären. „Karneval“ könnte als carne vale – Abschied vom Fleisch ebenfalls einen Bezug zur christlichen Fastenzeit oder sogar bereits dem römischen Reinigungsfest Februa haben. Fest steht, dass sich an Karneval viele heidnische und christliche Bräuche vermischen.
Zugang zu anderen Welten
Das Gewohnte, der Norm entsprechende, verliert seine Gültigkeit. Die Welt außerhalb der Grenzen des Wahrnehmbaren wird sichtbar, spürbar und erlebbar. Eine verrückte Welt der Geister und alten Mächte. Die Perspektive auf das Gewohnte und Alltägliche verändert sich. Wer die Grenzen des Gewohnten überschreitet, nimmt Kontakt auf zu einer anderen Ebene des Bewusstseins, zur Anderswelt. Wir können in Verbindung kommen mit Mächten und Kräften, die es im alltäglichen Bewusstsein nicht gibt. Für eine kurze Zeit scheint alles denkbar, alles möglich.
Perspektiv-Wechsel
Masken und Verkleidungen spielen zur Fastnachts-Zeit eine zentrale Rolle. Jeder kann in eine andere Identität und Rolle schlüpfen und die Welt aus dieser Perspektive betrachten. Die Verkleidung kann dabei helfen. Mit einer Maske sind ganz neue und andere Erfahrungen möglich.
Wir können auf spielerische Art und Weise erfahren, dass es nicht die eine Identität gibt. So geht auch die buddhistische Lehre davon aus, dass es nicht die eine feststehende Identität, das eine feste Selbst gibt (Prinzip des Anatta – „Nicht-Selbst“). Nach dieser Vorstellung kann man das Selbst als Prozess verstehen, der wie alle anderen Lebewesen, Dinge und Phänomene ständiger Veränderung unterworfen ist (Prinzip des Anicca – Veränderlichkeit). Wir können das im Alltagsleben gut beobachten. Wir haben unterschiedliche Identitäten oder Rollen bei der Arbeit, als Tochter bzw. Sohn, als Eltern, als PartnerIn, als FreundIn, im Supermarkt, beim Arzt. Das kann man beliebig weiter denken. Wenn wir zu stark mit bestimmten Rollen identifiziert sind, kann uns das einengen, lähmen und schmerzhaft sein. Wenn wir beispielsweise Glaubenssätzen anhängen, wie: „Ich bin immer die, die…“ oder „ich bin nicht gut genug“ oder „ich muss, so sein oder dass machen“. In diesen Momenten kann uns das Konzept von Anatta helfen, uns aus einengenden Identitäten zu befreien. Wir dürfen uns klar machen, dass das nur Geschichten sind, die wir uns über uns selbst erzählen. Wir sind immer auch mehr und etwas anderes. Ich bin nicht nur die die Angst hat. Ich bin auch die, die mutig ist. An Karneval haben wir spielerisch und voller Leichtigkeit die Möglichkeit, nach außen sichtbar beengende Identitäten abzulegen und in die Rolle zu schlüpfen, die wir gerne wären.
Und unabhängig von begrenzenden Identitäten ist jeder Perspektiv-Wechsel auch mit Öffnung für andere Sichtweisen und Lernen verbunden. Wenn wir in eine andere Rolle schlüpfen, haben wir die Gelegenheit die Welt aus anderen Augen zu sehen. Es ist immer eine Bereicherung, sich vorzustellen, wie die Welt für einen anderen ist. Wie ist es Frau, ein Mann zu sein? Wie fühlt es sich an, ein Tier zu sein? Wie denkt ein Wolf?
Tiermasken – Verbindung zur Tierwelt
In vielen alten Kulturen spielen Tiermasken eine wichtige Rolle. Um in die Perspektive des Tieres zu schlüpfen, an der Kraft des Tieres teil zu haben und mit dessen spiritueller Ebene Kontakt aufzunehmen. Die Verbindung von Menschen und Tieren ist in allen naturreligiösen Vorstellungen eng. Die aufwändigen und sehr naturgetreuen Malereien der Steinzeitmenschen (siehe oben Höhle von Lascaux in Frankreich) zeigen fast ausschließlich Tiere. Die Germanen gingen davon aus, dass sich ein Teil der menschlichen Seele in einem Tiergeist verkörperte. Tiergeister und Totemtiere, die Menschen und ganze Clans beschützten und ihnen bestimmte Eigenschaften verliehen, gehörten zur Vorstellungswelt der amerikanischen Kulturen, aber auch der europäischen Völker. Tiere wurden als LehrerInnen angesehen, die bestimmte Kräfte oder eine bestimmte Weisheit (Tier-Medizin) vermittelten.
Verwandlungen von Menschen in Tiere sind unter anderem in der germanischen, der keltischen, der römischen, griechischen und ägyptischen Mythologie häufig zu finden. Und umgekehrt nahmen die Götter oft Tiergestalt an. Bei den Kelten ist der Mythos des Gestaltwandlers ein zentrales Element. Cernunnos der Gott der Erneuerung und Wiedergeburt trat beispielsweise häufig als Hirsch in Erscheinung. Das Abwerfen des Geweihs steht für die fortwährende Wiedergeburt. Kriegsgöttinnen konnten die Gestalt von Raben oder Krähen annehmen, um die Seelen der Toten fortzutragen. Auch in der mitteleuropäischen Märchenwelt, die vorchristliche Wurzeln hat, sind solche Verwandlungen häufig zu finden. Im Märchen von den sechs Schwänen werden die Königssöhne von der bösen Stiefmutter in sechs Schwäne verwandelt. In Schneeweißchen und Rosenrot ist der Königssohn in einen wilden Bären verwandelt. Der Bär steht für Kraft und Fruchtbarkeit. Er ist ein Sonnentier, ein Beschützer. Tiergestalten spielen in den Märchen häufig eine besondere Rolle, wie in dem Froschkönig, dem gestiefelten Kater oder der Wolf in Rotkäppchen. Wölfe stehen in vielen Kulturen für die Wachstums- und Lebenskraft. Die Begegnung von Rotkäppchen mit dem Wolf kann auch als Initiation in das Erwachsenen-Dasein gesehen werden. Sie kann für die Begegnung mit der wilden Lebenskraft und Befreiung aus engen Familienverhältnissen stehen.
Diese Geschichten zeigen die Verbundenheit und Neugier, die der Mensch immer schon gegenüber anderen Lebewesen hatte. Es kommt hier auch der Wunsch zu Ausdruck, die besonderen Kräfte anderer Spezies zu teilen. Seit altersher stellten Tier- und Dämonenmasken das Mittel dar, mit dem die jeweilige Tier-Energie gerufen und verkörpert wurden. An Karneval können wir uns an diese uralte Verbindung des Menschen mit den Tieren erinnern.
Raum für die wilde, ungezähmte Seite in uns
Fastnachts-Bräuche beschränken sich nicht nur darauf, mit wildem Treiben und Umzügen den Winter auszutreiben und das neue Leben zu erwecken. Im Rasen, Toben und Verrückt-Sein der Fastnacht fällt kurze Zeit die Grenze zwischen der Sicherheit unserer Zivilisation mit ihren gesellschaftlichen Normen und Rollen und unserer inneren, ungezähmten Wildnis. Wir werden wieder Teil jener großen Gemeinschaft von Lebewesen, zu der wir gehören. Das hat auch reinigende Aspekte für Seele und Gemeinschaft. Wir können uns daran erinnern, dass auch wir Tiere sind und in Kontakt kommen mit unserer wilden Tier-Seele, die durch und durch verbunden ist mit dieser Welt.
Diese Aspekte können wir uns zu Karneval vergegenwärtigen und uns Verkleiden, Tanzen, mit Identitäten spielen, die Perspektive wechseln und in Kontakt mit mehr als der sichtbaren Welt kommen.
Quellen
Kaiser, Martina, Der Jahreskreis; Storl, Wolf Dieter, Schamanentum, Die Wurzeln unserer Spiritualität; Anaconda, Das Buch der keltischen Mythen, Von Göttern, Kriegern, Feen und Druiden.
In meinem Naturtagebuch halte ich meine Beobachtungen und Gedanken zu Bäumen fest – im Fall der Eibe zu einer ganz bestimmten Eibe. Mit meinem Baum-Journal lasse ich die uralte Verbindung unserer Ahnen zu den Bäumen wieder aufleben. Bäume sind uralte Lebewesen, die uns ähnlicher sind, als wir denken. Bäume warten für uns Menschen seit Urzeiten Götter, Lehrerinnen und Heiligtümer. Wir können viel von ihnen lernen – über die Welt, über Verbindung und uns selbst.
„Meine“ Eibe habe ich ein Jahr lang genau beobachtet – wie sie blüht, ob sie Früchte und Zapfen bildet. Wer ihre Nachbarn sind. Wer sie bewohnt, wer sie besucht und Spuren auf ihrer Rinde hinterlässt. Ich habe diese Eibe immer wieder ganz bewusst aufgesucht – sie ist mir nun sehr vertraut – „meine“ Eibe. Wir kennen uns. Sie ist meine Lehrerin und hat eine Bedeutung für mich.
Nature Journaling ist eine der Kernroutinen der Wildnispädagogik. Gleichzeitig ist sie eine wichtige Praxis der Naturachtsamkeit.
Beim Nature Journaling geht es nicht darum, besonders schöne Zeichnungen zu erstellen. Wir sind völlig frei darin, wie wir unser Naturtagebuch führen – mit Skizzen, Bildern, Worten oder auch Sammelstücken. Diese Freiheit sollten wir uns nehmen und uns frei von Erwartungsdruck und Konzepten von „Schön“ und „Wertvoll“ machen. Wichtig ist, dass wir unseren eigenen Weg und Ausdruck finden. Und wie bei jeder Praxis ist Regelmäßigkeit von entscheidender Bedeutung. Lieber weniger, aber häufiger. Beim Nature Journaling geht es um Naturverbindung, Verbindung zu uns selbst, Achtsamkeit, Neugier und Kreativität.
Wenn wir unsere Beobachtungen in Worte und Bilder fassen wollen, müssen wir uns Zeit nehmen und genau hinschauen. Das entschleunigt. In diesem Raum entstehen Fragen und Neugier. Wir kommen ins Erforschen und Entdecken. Weitere Fragen entstehen. Ich fange an, in Bestimmungsbüchern und Büchern über altes Pflanzenwissen nachzuforschen. Dadurch kann eine tiefe Verbindung zu den Lebewesen, Bäumen und Pflanzen entstehen. Im Fall meiner Eibe sogar zu einem ganz bestimmten Baumwesen.
Was macht die Eibe aus?
Die Eibe ist ein verhältnismäßig kleiner oft nur strauchartiger Baum mit einer Höhe bis zu 15 Metern. Im Alter ist sie oft mehrstämmig und stark verwachsen. Trotz ihrer geringen Größe ist sie in der Kultur der Menschen schon lange – etwa bei den Kelten, Germanen und Römern – ein mächtiger, alter Kulturbaum. Meist wird ihr eine eher düstere und unheimliche Bedeutung mit einer starken Verbindung zum Tod und zur Anderswelt, der Geisterwelt, zugeschrieben. Unzählig viele Geschichten, Mythen und Legenden ranken sich um diesen Baum. Kennst du auch welche?
Giftigkeit und Bogenholz
Ein Grund für die düstere Aura, die die Eibe umgibt, ist ihre Giftigkeit. Hierauf verweist auch der lateinische Name der Eibe Taxus baccata. Unter einem Toxikum versteht man ein Pfeilgift. Und genau so wurde das Gift der Eibe (Blätterabsud) früher auch verwendet. Bis auf den fleischigen Samenmantel der roten Scheinfrüchte sind alle Bestandteile der Eibe – Rinde, Nadeln und Kerne – hoch giftig (Alkaloid Taxin und Glykosid Taxicatin). Kleinste Mengen reichen für tödliche Vergiftungen, die zu Atemlähmung und Herzstillstand führen.
An warmen Tagen kann die Eibe psychoaktive Gase mit einer haluzinogenen Wirkung freisetzen. Bereits im Märchen Jorinde und Joringel von den Gebrüdern Grimm, in Shakespeares Romeo und Julia und alten Volksweisheiten wird von solchen Erfahrungen erzählt bzw. vor längeren Aufenthalten im Eibenhain gewarnt. Dies steht im Einklang mit der Bedeutung der Eibe als Schwellenbaum zur Anderswelt.
Das griechische Wort Toxon bedeutet Bogen. Das harte, aber sehr flexible Holz ist seit der Steinzeit als Bogen- und Speerholz beliebt und wurde schon von den Neanderthalern verwendet. Die hohe Nachfrage, etwa für englische Langbögen, und Übernutzung wird als Grund genannt, warum die Eibe auf der roten Liste für bedrohte Arten steht. Bei den Bauern wurde sie zum Teil auch aufgrund ihrer Giftigkeit für das Vieh gefällt.
Schwellenbaum – Leben und Tod
Die Kelten glaubten, dass die langsam wachsende Eibe, das langlebigste Lebewesen der Welt sei. Es wird vermutet, dass einige Bäume mehrere Tausend Jahre alt sind. Die Eibe ist in ihrer spirituellen Bedeutung für die Kelten und Germanen ein mächtiger Schwellenbaum – an der Schwelle vom Leben zum Tod, von der sichtbaren Welt zur nicht sichtbaren Anderswelt. Der keltische Name „ivo“, „ivos“ oder „ibar“ könnte mit dem alten Wort „ewa“ oder „ewig“ verwandt sein. Nach alten Mythen öffnet die Eibe die Pforte zur Ewigkeit, indem sie den Lebenskreislauf von Entstehen und Vergehen, von Raum und Zeit durchbricht.
„Raum und Zeit sind die Bedingungen der menschlichen Identität und Wahrnehmung. (…) Sobald die Seele aber den Körper verlässt, steht sie nicht mehr unter der zweifachen Bedingung von Raum und Zeit. Die Seele ist frei da zu sein, wo immer sie zu sein wünscht.“
John O’Donohue, Anam Caram
Die Eibe ist ein Symbol für den Tod und die Ewigkeit. Dies ist der Grund, warum sie heute noch häufig rund um Friedhöfe – so in meiner Nachbarschaft um den Waldfriedhof in Köln-Dellbrück – anzutreffen ist. Die Eibe gilt als einer der heiligsten Druidenbäume. Zauberstäbe der keltischen Druiden und magische Schutzamulette sollen aus Eibenholz hergestellt worden sein. Es wird vermutet, dass der Weltenbaum Yggdrasil aus der germanischen Mythenwelt nicht eine Esche, sondern immergrüne Eibe ist. Bei den Kelten war die Eibe der Todesgöttin Morrígan gewidmet, deren dunkle Zeit mit dem keltischen Jahreskreisfest Samhain – heute Halloween – im Oktober beginnt. Zu Samhain sollen die Schleier zur Anderswelt besonders dünn sein. Die Geister können leichter in unsere Welt kommen und auch wir haben leichteren Zugang zur nicht sichtbaren Welt. Mit dem Tod des Lebens im Herbst beginnt die Zeit der Erneuerung im Verborgenen der Erde. Aus dem Samen wird in der Dunkelheit neues Licht (Wintersonnenwende) und neues Leben geboren. Hierfür steht die Verbindung des keltischen Wald-Gottes Cernunnos, mit seinem Hirschgeweih, und der Göttin der Erde Ana oder Dana. Der Samen des Waldes spendet Leben auf der Erde. Die dunkle Seite der Eibe, der Tod, ist damit als Ausdruck von Ganzheit auch mit dem Neubeginn, der Wiedergeburt des Lichtes und Leben verbunden.
Was bedeutet die Eibe für mich? Was lehrt mich meine Eibe?
Ich habe meine Eibe in unserem Garten erst spät – nach ein paar Jahren – entdeckt und wirklich wahrgenommen. Sie war zunächst versteckt zwischen einigen Fichten. Die Fichten haben die heißen, trockenen Sommer (2018, 2019 und 2020) nicht überlebt. Aber meine Eibe hat tiefe Wurzeln. Sie hat diese Zeit völlig unbeschadet überstanden. Die Eibe steht im Schatten der großen Bäume – Kirsche, Götterbaum und Tanne. Das stört sie nicht. Die Eibe muss nicht im Mittelpunkt stehen. Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Langsam wächst sie und trotzt schwierigen Bedingungen. Sie ist eine gute Lehrerin in Durchsetzungsfähigkeit, Gelassenheit und Bescheidenheit. Sie lehrt mich, wie wichtig es ist, gut verwurzelt zu sein, damit man sich sicher fühlen kann und Halt in schwierigen Phasen hat. Tiefe Wurzeln machen uns resilient, so dass man sich nach Zeiten der Dürre und des Mangels wieder erholen kann.
Ich mag die spirituelle Bedeutung der Eibe als Schwellenbaum zwischen Leben und Tod, sichtbarer und nicht sichtbarer Welt. Sie ist für mich ein Symbol für die Vergänglichkeit. Nach den Buddhisten ist die Vergänglichkeit oder Veränderlichkeit – Anicca – eines der drei Merkmale, die unser Dasein auf dieser Welt prägen. Es lohnt sich, sich immer mal wieder zu vergegenwärtigen, dass alles im Leben entsteht und vergeht. Das kann sensibel machen für die Kostbarkeit des Lebens, des Moments, einer Beziehung oder Begegnung mit einem geliebten Lebewesen. Es motiviert mich, meine Zeit für die Dinge zu nutzen, die mir wirklich wichtig sind und nicht in Streit und Trennung zu bleiben.
Gleichzeitig steht die Eibe für mich für die tiefen Wurzeln und guten Ressourcen, die man manchmal braucht, um den Schmerz und die Traurigkeit halten zu können, die beim Abschied nehmen entstehen kann. Die Eibe ist für mich eine tröstliche Erinnerungan den ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen (siehe hierzu auch: Keltischer Jahreskreis – Ein europäisches Medizinrad), daran, dass sich nach dem Tod etwas Anderes auftut. Die Physik lehrt uns, dass nichts für immer verschwindet. Alles wird nur zu etwas Anderem. Das gilt auch für uns. Vielleicht hat der Tod neben all dem Schmerzhaften auch etwas Befreiendes, wenn wir nicht mehr an Raum und Zeit gebunden sind. Vielleicht ist es dann vorbei mit dem Schmerz, der durch das Raumempfinden und das damit verbundene Gefühl der Trennung entstehen kann – ich bin Anne, ich bin allein in meinem Körper, mit meiner Wahrnehmung, auf meinem Anne-Planeten. Und auch mit dem Schmerz aufgrund unseres Zeitempfindens, dass alles wieder vergeht und nichts für immer ist – auch schöne Momente, Beziehungen, körperliche Kraft mit dem Altern. Die Eibe erinnert mich tröstlich daran, dass die Toten – in welcher Form auch immer – unter uns sind.
„Auf die Frage, wohin die Seele gehe, wenn der Mensch stirbt, antwortete Meister Eckhart: An keinen Ort. Wohin sonst könnte die Seele gehen? Wo sonst wäre die ewige Welt? Sie kann nirgendwo sein als hier. Unser begriffliches Denken macht die ewige Welt fälschlicherweise zu etwas Räumlichem und rückt sie dann in unermessliche Ferne, wie irgendeine unbekannte Galaxie. Doch die ewige Welt scheint gar kein Ort, sondern vielmehr eine andere Seinsebene zu sein. Die Seele der Verstorbenen geht nirgendwohin, weil es gar keinen anderen Ort gibt, an den sie gehen könnte. Dies deutet darauf hin, dass die Toten hier bei uns sind, in der Luft, durch die wir uns ununterbrochen bewegen. Der einzige Unterschied zwischen uns und den Toten ist der, dass sie sich jetzt in einer unsichtbaren Form befinden. Wir können sie mit unserem menschlichen Auge nicht sehen, wohl aber können wir die Gegenwart jener Toten spüren, die wir zur Lebzeiten geliebt haben“ .
John O’Donohue, Anam Caram
Die Eibe steht für mich für Ganzheit. Ich spüre Widerstand und Angst wegen ihrer Giftigkeit. Die Eibe kann mich lehren, auch mit unseren Schattenseiten und den zerstörerischen Kräften in Kontakt zu kommen. Auch diese Seiten sind Teile von uns Menschen. Es ist eine lebenslange Übung einen Umgang mit den Schatten zu finden. Und Zerstörung hat etwas kraftvoll Reinigendes. Die Eibe erinnert daran, dass manchmal erst etwas gehen muss, damit etwas Neues entstehen kann.
In den Monaten der intensiven Beobachtung und des Nature Journaling hat sich etwas verändert – ich sehe meine Eibe mit anderen Augen, mit den Augen meines Herzens. Ich spüre eine persönliche Verbundenheit mit diesem konkreten Baum. Meinen Drillbogen habe ich den alten Traditionen folgend aus dem Holz meiner Eibe gefertigt. Dieser Bogen bedeutet mir etwas.
Quellen
Young, Jon / Hass, Ellen / McGown, Evan: Coyote-Guide, Grundlagen der Wildnispädagogik; Hillgärtner, Verena: Nature Journaling; Storl, Wolf-Dieter: Unsere fünf heiligen Bäume, S. 143 ff.; Urbanovsky, Claudia / Le Scouezec, Gwenc’Hlan: Der Garten der Druiden, S. 325 ff.; Krämer, Claus: Mythen und Sagen der Kelten, S. 90; Das Buch der keltischen Mythen, Von Göttern, Kriegern, Feen und Druiden, S. 197.
Das Licht kommt zurück. Das Leben erwacht nun bald vom Rückzugsort im Inneren der Erde wieder nach außen. Aber noch ist es nicht soweit.
Die weiße Göttin Brighid bereit in dieser Schwellenzeit den Weg des Samens vor, um sie aus der Dunkelheit, dem Unbewussten in die Bewusstheit, das Tageslicht zu führen. Begleitet wird sie von einem Bären, der noch nicht zu seiner wahren Gestalt als Sonnengott erstrahlt ist. In dieser ZwischenZeit im Februar geht es um Reinigung und Bereinigung als Abschied vom Winter und Vorbereitung auf den bald neu erwachenden Lebenszyklus. Es ist die Zeit in der noch diffuse Träume und Visionen langsam konkreter werden dürfen, um dann im neuen Lebenskreis Wirklichkeit zu werden und Gestalt anzunehmen. Zu Imbolc reitet die strahlende Brighid auf ihrem Hirsch durch das Land und erweckt die erstarrte Erde aus ihrem Winterschlaf zu neuem Leben. Überall, wo sie den Boden berühren wachsen Schneeglöckchen.
Auf der Nordhalbkugel ist es die Zeit im Jahr mit dem knappsten Nahrungsangebot in der Natur. In dieser für unsere keltischen Vorfahren entbehrungsreichen Zeit feierten die Menschen zum Jahreskreisfest Imbolc (1. Februar oder 2. Vollmond) die Rückkehr des Lichts, das Vertrauen auf neue Lebenskraft und auf einen Neubeginn.
Dazwischen – ZwischenZeit
Das Licht kommt nun Tag für Tag mehr zurück. Die Geburt der ersten Lämmer war für die Menschen früher ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Frühling nun bevorsteht und die Tiere und Erde wieder fruchtbar werden. Das Leben erwacht nun bald vom Rückzugsort im Inneren der Erde und zeigt sich wieder im Außen. Aber noch ist es nicht soweit. Die Zeitqualität im Februar ist besonders: Dazwischen – ZwischenZeit – an der Schwelle. Der Winter ist vorbei, der Frühling noch nicht da. Für unsere Vorfahren, die Kelten, bedeutete dies: Die Wintervorräte gehen zu Ende, aber in der Natur gibt es noch nicht viel Neues. Es ist die Zeit der Morgendämmerung: Die Nacht ist vorbei, aber die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Nicht mehr dunkel, noch nicht hell. Nicht mehr Innen, noch nicht Außen.
In dieser ZwischenZeit bereitet die weiße Göttin Brighid den Weg des Samen vor. Tief drinnen im dunklen Schoß von Mutter Erde liegt das Samenkorn, das schon wächst, auch wenn es für uns noch nicht sichtbar ist. Brighid hütet diese Samen, um sie vom Unbewussten, aus der Dunkelheit, in die Bewusstheit, in das Tageslicht zu führen.
Zeitqualität und andere Zyklen
In der Natur kommt das Licht zurück, das neue Leben erwacht ganz langsam. Es ist die Zeit der Vorbereitung und Reinigung, Inspiration und Vision. Legt man den Tageszyklus über den Jahreskreis ist es die Zeit der Morgendämmerung – die Sonne ist noch nicht aufgegangen, aber man spürt und sieht bereits ihre wachsende Kraft. Ihr entspricht die Himmelsrichtung Nord-Osten. Im Mondzyklus haben wir den zunehmenden Sichel-Mond. Das Licht nimmt nach dem Neumond zu. Es ist eine Zeit des Neubeginns, des ersten vorsichtigen und meist noch nicht sichtbaren Wachstums.
Im Zyklus des Menschenlebens steht nun die Geburt des in der Dunkelheit herangewachsenen neuen Menschenlebens in unsere sichtbare Welt bevor. Aus dem Unbekannten kommt ein neues Lebewesen auf diese Welt. Noch wissen wir nicht genau, welches Wesen, mit welchen Eigenschaften und welchem Charakter hier Gestalt annimmt und Wirklichkeit wird. Noch ist das alles vages Glauben, Ahnen und Träumen.
Keltisches Jahreskreisfest Imbolc – die Rückkehr der Lichtgöttin Brighid
Imbolc oder Imbolg ist ein altes keltisches Fest, dass im Jahreskreis zwischen der Wintersonnenwende und der Frühjahrstagundnachtgleiche gefeiert wird – an der Schwelle vom Winter in den Frühling. Ursprünglich wurde es wohl als Vollmondfest zum zweiten Vollmond im Jahr, dem Eismond gefeiert. In Irland feiert man heute noch zu Ehren der christlichen Heiligen Brighid am 1. Februar die Rückkehr des Lichts und Lebens. Die Christen fixierten das Datum der christlichen Adaption – Maria Lichtmess – auf den 2. Februar.
Zu Imbolc kehrt die weiße Göttin Brighid aus den Tiefen der Erde zurück. Brighid wird mit die Strahlende übersetzt. Sie ist die weiße jugendliche Göttin, die das Licht zurück bringt. Die weiße Birke ist der Baum der Göttin Brighid, der den Neuanfang des Vorfrühlings symbolisiert. Die wohlschmeckenden Birkensäfte fließen nun wieder aus der Erde in den Stamm und die Äste bereiten den Austrieb vor. Die Birke ist der erste Baum, der grüne Blätter bekommt.
Mit der weißen Jungfrau Brighid kam in früheren Zeiten in Europa der Bär nach seinem Winterschlaf aus der Höhle. Er ist Brighids Götter-Gatte, auch wenn das in seiner Bärengestalt nicht sichtbar ist. Das wird in dem alten Märchen Schneeweißchen und Rosenrot überliefert. Die schneeweiße jugendliche Göttin Brighid vermählt sich mit dem in einen Bären verwandelten Königssohn, der nichts anderes ist als der noch ungezähmte wilde Sonnengott der keltischen Stämme. Im Märchen wird das deutlich, wenn das goldene Licht aus dem Fell des Bären strahlt, als er es sich am Türhaken aufreißt. Diese Symbolik zeigt die enge Verbindung und Bedeutung, die Tierwesen für die keltischen Stämme hatten.
Brighid kann auch als eine Seite einer dreigestaltigen Göttin gesehen werden. Die Zahl drei hatte bei den Kelten eine besondere mystische Bedeutung und stand für die Ganzheit trotz unterschiedlicher sie verkörpernder Aspekte. Zusammen mit den alten keltischen Göttinen Dana, der Mutter, und Anu, der Greisin bildet Brighid als Jungfrau den gesamten menschlichen Lebenszyklus mit ihren jeweiligen Themen und Qualitäten – Jugend, Fruchtbarkeit und Alter – ab. Und wir sehen hier wieder, dass es nicht die eine keltische Kultur und Religion gab (siehe hierzu meinen Blog-Beitrag: Der Keltische Jahreskreis). Für diese dreifaltige Gottheit gab es verschiedene Namen, doch die Geschichte ist immer ähnlich. Einer anderen Quelle zufolge wird Brighid etwa gemeinsam mit der Muttergöttin Modron und der dunklen Göttin Cailleach genannt, als dreifache Göttin, die über die Jahreszeiten bestimmt. Die Herrschaft von Cailleach beginnt zu Samhain (1. November). Sie ist der dunkle, karge und zerstörerische Winteraspekt der Großen Göttin. Die Sommer-Göttin Modron legt zu diesem Zeitpunkt ihre Zauberrute unter einen Holunderbusch, wäscht sich in einem Becken und verwandelt sich in Cailleach. Diese beendet ihre Herrschaft, indem sie die Schlange weckt, die einerseits das Symbol für den Zerfall ist, aber auch für die Naturkräfte des Wachstums und der Erneuerung. Auch hier wird der in der keltischen naturverbundenen Kultur stark verbreitete Totemismus deutlich. Diese Schlange beendet im Februar zu Imbolc den Winter. Cailleach legt dann die Zauberrute unter einen Hollerstrauch und verwandelt sich in einen Stein. Die Göttin Brighid nimmt den Stab auf und es wird mit den ersten Schneeglöckchen Frühling. Jede Göttin steht für eine bestimmte Phase im menschlichen Leben und übernimmt für die ihr entsprechende Jahreszeit die Herrschaft.
Inspiration: Kessel der Verwandlung
Die Göttin Brighid symbolisiert – passend zu dieser Zeit im Jahreskreis – den Wandel. Es ist die Zeit, in der das Eis langsam taut und die Flüsse und Bäche wieder zu fließen beginnen. Das Element der Brighid ist das Wasser. Als Lichtgöttin und Göttin der Inspiration ist ihr Element jedoch auch das Feuer. Ihr Symbol ist der Kessel der Verwandlung und Inspiration, dass sich in zahlreichen Mythen und Märchen wiederfindet. Auch bei den keltischen Druiden und nicht nur bei Miraculix war er ein wichtiger kultischer Gegenstand. Die beiden gegensätzlichsten Elemente – Feuer und Wasser bringen im Verborgenen des Kessels und durch das Vermischen von verschiedenen Zutaten etwas völlig Neues hervor. Es findet eine Verwandlung statt. Nach demselben Prinzip entsteht auch Inspiration, Vision und neue Ideen. Der kreative Schaffensprozess vollzieht sich in bewussten, sichtbaren und unbewussten Phasen. Man kann zum Teil beobachten, dass in einer kreativen Phase, in der man sich nicht mehr mit der eigentlichen Aufgaben- oder Fragestellung beschäftigt, durch eine Neukombination von Vorhandenem eine neue Idee entstehen kann. Der Kessel der Verwandlung ist ein wunderbares Symbol dafür.
Visionssuche – Welche Samen schlummern in dir?
Wenn man an die Samen und sich bildenden Knospen denkt, ist der Februar die Zeit des Heranwachsens im Verborgenen. Eine kreative Schaffensphase. Eine Schwangerschaft. Wenn man etwas schaffen oder erschaffen will und sei es nur ein noch vages anderes Lebensgefühl, dann braucht man eine klare Vision. Um ins Handeln kommen zu können, braucht es Begeisterung, Freude, eine Inspiration, ein inneres Feuer, einen Traum, eine Idee, eine Vorstellung davon, was man in die Welt, in die Wirklichkeit bringen möchte. Hier zeigt sich wieder wie der keltische Jahreskreis (siehe hierzu meinen Blog-Beitrag: Der Keltische Jahreskreis) uns Orientierung auf unserem Lebensweg, aber auch für bestimmte Projekte oder neue Routinen geben kann. Wir können die Kraft des Februar, des Nord-Osten nutzen und unseren Traum, unsere Vision in eine konkrete Gestalt bringen. Wir dürfen ihn nun sichtbar machen.
Folgende Reflexionsfragen können dabei helfen:
Welche Samen wachsen in deinem inneren Raum?
Was möchte Gestalt annehmen und Wirklichkeit werden?
Was will in diesem neuen Jahreskreis erwachen, ans Licht, wachsen, aufblühen und leben?
Erwachen des neuen Lebens
Auf der Nordhalbkugel ist es die Zeit im Jahr mit dem knappsten Nahrungsangebot in der Natur. In dieser kargen und für unsere keltischen Vorfahren entbehrungsreichen Zeit feierten die Menschen von alters her das Vertrauen auf neue Lebenskraft, auf einen Neubeginn. Sie feierten das zurückkehrende Licht. Die Tage werden wieder spürbar länger – ungefähr 2 1/2 Stunden länger als zum Jahresbeginn. Die Zeit der Dunkelheit geht dem Ende zu. Das können wir alle spüren.
Die keltischen Jahreskreisfeste spiegeln die genaue Beobachtung und konkrete Erfahrung der Natur durch die Kelten und ihre Vorfahren wieder. Imbolc kann übersetzt werden mit der „Zeit, in der die Frühjahrslämmer geboren werden und es wieder Milch gibt“. In diesem Namen kommt der Übergang von der kargen Winterzeit zum Erwachen des neuen Lebens zum Ausdruck.
Das wird in der Natur nun langsam sichtbar. Die ersten Sträucher blühen, Schneeglöckchen und Frühblüher suchen langsam den Weg ans Licht. Die Säfte schießen nun mit neuer Lebenskraft zurück nach oben in die Sträucher und Bäume. Wer mag, kann den leckeren Saft der Birke anzapfen.
Zu Imbolc reitet die strahlende Brighid auf ihrem Hirsch durch das Land und erweckt die erstarrte Erde aus ihrem Winterschlaf zu neuem Leben. Überall, wo sie den Boden berühren wachsen Schneeglöckchen, Krokusse und andere Frühblüher.
Reinigung
In der Natur können wir nun die reinigende Kraft der letzten Winter-Stürme sehen, die die Natur von nicht Tragendem (Äste und Bäume) und Altem (Blätter, Abgestorbenes) befreien. Der Weg wird freigeräumt für den Neubeginn, dass wiedererwachende Leben. Regen und Hochwasser helfen dabei. Sie spülen Überflüssiges davon und bereiten den Boden für die ersten keimenden Samen. Die ersten Schneeglöckchen und Frühblüher kündigen den Frühling an. Die Schneeglöckchen symbolisierten für die Kelten die weiße Frühjahrsgöttin Brighid. Die Knospen der Bäume und Sträucher schwellen und stehen kurz vor dem Austreiben – an der Schwelle.
Es ist eine Zeit des Übergangs und Umschwungs, der Wandlung, Transformation und Veränderung (Element Wasser). Eine Zeit der Reinigung – Altes und Ausgedientes zurücklassen, sich erneuern und sich auf Neues vorbereiten (Element Wasser und Feuer). Eine Zeit der Rückkehr des Lichtes, des Aufbruchs und Neubeginns, der Inspiration und Vision (Element Feuer).
Unsere Vorfahren bereiteten sich durch Reinigung – innere (Fasten, Neuausrichtung, Visionssuche) und äußere (Wäsche waschen, Haus- und Hofputz mit dem rituellen Birkenreisig) auf diesen Neubeginn vor. Imbolc ist eine besondere Zeit im Jahreskreis, die einen klaren Bezug zu den Vorgängen in der Natur – Reinigung, Neubeginn, Licht – hat und in den Bedürfnissen der Menschen am Ende der Winterzeit. Und so gibt es zahlreiche Überschneidungen und vielleicht auch (wechselseitige) Beeinflussungen mit Festen anderer Kulturen.
Neben den Hindus kannten etwa auch die Römer zum Ende des Winters Reinigungsfeste, nämlich das für den Monat Februar namensgebende Reinigungsfest Februa. Zu dieser Zeit wurden Kerzen geweiht und es gab Lichterprozessionen. Das lateinische Wort „februare“ bedeutet denn auch reinigen.
In Irland haben die alten keltischen Bräuche im christlichen Gewand überdauert. Zu Ehren der christlichen Heiligen Brighid brennt ein ewiges Feuer in ihrem Heiligtum in Kildare und die Brunnen werden für ihr Wasser der Reinigung und Erneuerung verehrt.
Christliche Adaption: Maria Lichtmess oder die Darstellung des Herrn
Maria Lichtmess ist ein christlicher Feiertag. Es geht zurück auf jüdische Bräuche, wonach Frauen nach der Geburt eines Sohnes 40 Tage unrein sind und am Ende dieser Zeit durch Reinigungszeremonien wieder in die Gemeinschaft eingeführt wurden. Es ist außerdem die Zeit, in der Kinder getauft (Taufe wurde auch Darstellung des Herrn bezeichnet) bzw. beschnitten wurden. Lichtmess wurde daher zunächst am 14. Februar (40 Tage nach Weihnachten) gefeiert. Ursprünge sind aber wohl auch in den römischen Reinigungsfesten Februa zu finden. Die Datierung auf den heutigen 2. Februar lässt sich auf den Einfluss des keltischen Imbolc-Festes und Feierlichkeiten zu Ehren der christlichen Heiligen bzw. keltischen Göttin Brighid zurückführen. Im Zuge der Christianisierung kam es häufig vor, dass heidnische Bräuche christianisiert wurden. Denn die Bevölkerung hatte diese Bräuche und Rituale tief verinnerlicht und gab diese häufig nicht ohne Weiteres auf. Zu Maria Lichtmess wurden Lichterprozessionen und Freudenfeuer gemacht und es gab die Kerzenweihe. Kerzen wurden gesegnet, als Wetterkerzen gegen schlechtes Wetter oder Schutz vor Krankheiten.
Rituale zu Imbolc
Morgendämmerung – Das Licht ist großzügig
In der Morgendämmerung vor Sonnenaufgang in die Natur gehen und auf dem Sonnenaufgang warten. Die Schwellenzeit bewusst wahrnehmen.
Kannst du bemerken, dass es vor der Dämmerung noch einmal richtig dunkel wird? Kannst du die besondere Energie des Anfangs spüren, der noch nicht richtig sichtbar und greifbar ist?
Gehe in der Dunkelheit hinaus und stell dir vor, du bist zum ersten Mal auf dieser Erde und weißt nicht, was Licht ist. Wie ist es für dich, wenn du mit diesem Anfängergeist bemerkst, wie das Dunkel aufreißt und lautlos das Mysterium und die Farbe eines neuen Tages anbricht? Das Licht ist großzügig und es ist sanft. Zart und behutsam streift es den Mantel der Nacht von der Welt.
Brighid Kreuz – Sonnenkreuz
Zu Imbolc werden im Brauchtum Strohfiguren oder Brighids Kreuz (altes Sonnenzeichen) geflochten. Brighids Sonne wird über die Türschwelle gehängt und beschützt das Haus und seine Bewohner für ein Jahr. Dann wird es verbrannt und ein neues geflochten.
Zeit für innere und äußere Reinigung – Aufräumen – Altes Loslassen – auch die Fastenzeit als Form der inneren Reinigung fällt in diesen Zeitraum. Unsere keltischen Vorfahren banden aus Birkenreißig rituelle Birkenbesen zur Reinigung von Haus und Hof.
Visionssuche
Zeit für neue Pläne, Inspiration und Neuausrichtung oder Bestärkung von Bewährtem.
Welche Samen schlummern in deinem inneren Raum? Und welche sind bereit, ans Licht zu kommen?
Was möchtest du rufen?
Was will in diesem neuen Jahreskreis ans Licht, wachsen, erblühen und leben? Was will Gestalt annehmen und Wirklichkeit werden?
Es ist eine günstige Zeit für eine Visionssuche. Klassischerweise ein Übergangs-Ritual zur bewussten Gestaltung von Wendepunkten im Leben. Der Brauch ist aus indigenen Kulturen weltweit, aber über die Märchen auch von unseren keltischen und germanischen Vorfahren überliefert. Häufig verbringt man mit einer mehrtägigen Vor- und Nachbereitung mehrere Tage (meist vier) fastend und allein im Wald oder einem anderen Ort in der Natur. Es kann aber auch weniger aufwendig in der Vorbereitung durchgeführt werden. Man kann sich einfach selbst einen Zeitraum bestimmen, in dem man sich mit einer bestimmten Fragestellung auseinandersetzt.
Versuche nicht, die ganze Zeit über die Frage nachzudenken, sondern gehe offen durch dein Leben, am besten für einen bestimmten Zeitraum. Mache dir deine Intention bewusst, spreche sie vielleicht aus und wenn du magst gehe symbolisch etwa bei einem Naturgang über eine Schwelle. Mache zum Beispiel einen Spaziergang allein in der Natur. Halte die Augen auf und sei empfänglich für die Zeichen, die dir in der Natur begegnen – ein kreischender Vogel, ein besonderes Muster in der Rinde eines Baumes, ein Sonnenstrahl der durch das Blätterdach fällt.
Was können dir diese Zeichen zu deiner Fragestellung erzählen?
Achte auf deine Wahrnehmung, deine Gedanken und Ideen und deine Träume in dieser Zeit. Schließe deine Visionssuche bewusst ab. Wenn du magst kehre wieder symbolisch über deine Schwelle zurück. Du kannst dir deine Eindrücke, Erkenntnisse und Erfahrungen aufschreiben, auch wenn sie dir nicht besonders vorkommen mögen. Auch eine Meditation bietet sich zu Integration an.
Kerzen und Freudenfeuer
Zünde weiße Kerzen an, ein Feuer oder segne eine Schutzkerze mit deinen Wünschen für das Jahr.
Mögen wir im dunklen Winterraum, im Verborgenen Samen und Visionen empfangen und nähren, die nun ans Licht, in die Verwirklichung wollen. Möge die Kraft der Inspiration und Veränderung uns tragen.
„Tell me what else should I have done. Doesn’t everything die at last and too soon. Tell me what is it that you plan to do with your one wild and precious life?”
(Mary Oliver)
Quellen
Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; Storl, Wolf Dieter, Pflanzen der Kelten; Das Buch der keltischen Mythen, Von Göttern, Kriegern, Feen und Druiden; O'Donohue, John: Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit.
Überall auf der Welt symbolisieren seit Urzeiten Kreise, Medizin- und Lebensräder den universellen Kreislauf des Lebens von Entstehen und Vergehen. Unsere keltischen Ahnen waren noch eng verbunden mit dem Kreislauf der Jahreszeiten. Für sich verlief die Zeit im Kreis. So bewegt sich auch das Jahr im Kreis vom Frühling zum Winter und wieder vom Frühling zum Winter. Die Qualitäten dieser Zeiträume im Zyklus der Jahreszeiten und die Bedeutung für ihr Leben feierten unsere Vorfahren mit Ritualen und Festen. Der keltische Jahreskreis setzt sich aus insgesamt acht Jahreskreisfesten zusammen, die für die unterschiedlichen Phasen und Zeitqualitäten im universellen Kreislauf und im natürlichen Jahresverlauf stehen.
Auch wenn wir heute nicht viel wirklich sicher über unsere keltischen Vorfahren wissen, können wir einiges von ihnen lernen. Der Keltische Jahreskreis ist ein europäisches Medizinrad, dass uns als Spiegel und Kompass für unsere inneren Landschaften dienen kann. Er spricht die tief in uns verwurzelte Symbol- und Bildsprache der europäischen Landschaft.
Dadurch kann Verbindung und ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Natur und zu einem größeren Ganzen, dem Netz des Lebens entstehen. Die Rückbindung an den natürlichen Rhythmus des Lebens hat in der modernen Welt zwar nicht mehr die gleiche Dringlichkeit, wie für unsere Vorfahren, deren Überleben davon abhing. Vielleicht hat es aber nicht viel an Dringlichkeit eingebüßt. Denn in unserer modernen einseitig Intellekt-orientierten Welt voller Entfremdung und seelischer Verarmung, sichert die Rückbindung an den natürlichen Kreislauf das Überleben unserer Seele. Der Keltische Jahreskreis kann uns helfen, wieder im Einklang mit dem universellen Rhythmus des Lebens zu leben, der auch unser eigener Lebensrhythmus ist. Wir können heimisch werden auf dieser Welt. Eingebettet in den ewigen Kreislauf wiegt uns der Rhythmus des Lebens – auf und ab und auf und ab.
Der universelle Kreislauf von Entstehen und Vergehen
Überall auf der Welt symbolisieren seit Urzeiten Kreise, Medizin- und Lebensräder den universellen Kreislauf des Lebens von Entstehen und Vergehen, Entstehen und Vergehen. Unser Atem folgt diesem Rhythmus genauso, wie die Gezeiten des Meeres. Alles bewegt sich nach demselben universellen Rhythmus und Kreislauf. Alles Leben entsteht aus der Dunkelheit, dem Verborgenen, dem Unbekannten, dem tiefen Winter. Der keimende Pflanzensamen aus der Dunkelheit der Erde genauso wie wir Lebewesen aus dem dunklen Körper unser Mutter. Das neue Leben wird erst mit der Geburt, dem Keimen sichtbar. Es wächst dann und blüht auf. Es kommt zur Befruchtung, zur Reife und Vollendung, zur äußeren oder inneren Ernte. Das Sterben der Pflanze bereitet dann den Weg für das Samenkorn durch die Dunkelheit – den Stillstand – die Leere in einen neuen Kreislauf. Der Kreis steht dafür, dass das Ende zugleich der Anfang ist. Wir bewegen uns in einem ewigen Kreislauf des Wandels und der Veränderung. Jedes Jahr gleich und jedes Jahr anders. Nichts verschwindet für immer, alles verändert sich und wird zu etwas anderem. Auch der Tod ist nur der Anfang von etwas Neuem, Unbekannten.
Das Jahr mit seinen Jahreszeiten ist ein solcher wilder rhythmischer Kreis. Das gleiche gilt für den Verlauf der Sonne im Tag- und Nachtrhythmus, den Mondzyklus, die Vegetationsphasen von Pflanzen und Bäumen. Auch der weibliche Menstruationszyklus folgt dem Zyklus der inneren Jahreszeiten. Und wie sollte es anders sein – dieser ewige Rhythmus gilt auch für das menschliche Leben und Sterben. Wir sind aus denselben Atomen und Teilchen wie das Universum und alles, was sich darin befindet. Wir sind nicht getrennt von der Natur. Auch wenn wir das heute oft vergessen: Wir sind Natur und unterliegen als solche den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie alle anderen Lebensformen.
„Alle Kräfte der Welt wirken in Kreisen. Der Himmel ist rund und wie ich höre, ist die Erde rund wie eine Kugel und ebenso alle Sterne. Wenn der Wind am heftigsten weht, bildet er runde Wirbel.
Die Vögel bauen ihre Nester kreisrund, denn sie haben die gleiche Religion wie wir. Die Sonne geht in einem Kreis auf und wieder unter – der Mond macht es ebenso – und beide sind rund.
Sogar der Wechsel der Jahreszeiten bildet einen großen Kreis und kehrt immer wieder dahin zurück wo er begann. Das Leben der Menschen ist ein Kreis – von Kindheit zu Kindheit – und so ist es mit allem, worin sich die Kraft regt.“
Black Elk, Medizinmann der Lakota Sioux
Der keltische Jahreskreis
Unsere vorchristlichen Ahnen in Europa waren als Jäger- und Sammler und später als Bauern- und Hirten notwendigerweise eng verbunden mit dem Kreislauf der Jahreszeiten, dem Klima, der Vegetation und der einheimischen Tierwelt. Das eigene Überleben hing davon ab. Dies galt auch für unsere keltischen und germanischen Vorfahren. Für unsere mitteleuropäischen keltischen Ahnen bewegt sich die Zeit im Kreis. So bewegt sich auch das Jahr im Kreis vom Frühling zum Winter und wieder vom Frühling zum Winter. Die unterschiedlichen natürlichen Zeiträume in diesem Jahreskreis wurden von Natur-Gottheiten verkörpert und „beherrscht“. Die Qualitäten dieser Zeiträume im Zyklus der Jahreszeiten und die Bedeutung für ihr Leben feierten unsere Vorfahren mit Ritualen und Festen. Der keltische Jahreskreis setzt sich aus insgesamt acht Jahreskreisfesten zusammen, die für die unterschiedlichen Phasen im universellen Kreislauf stehen.
Die Kelten – naturverbundene Ureinwohner Europas
In unseren modernen Welt schauen wir heute manchmal sehnsüchtig und etwas verklärt zu den letzten indigenen Kulturen auf dieser Welt, die sich ihre tiefe Verbindung zur Natur, zu sich selbst und zu einer funktionierenden Gemeinschaft bewahrt haben. Doch wenn wir zu unseren eigenen Wurzeln schauen, können wir feststellen, dass wir auch mal naturverbundene Stammesmenschen, auch mal „Indianer“ oder „Ureinwohner“ waren.
Das gilt natürlich für unsere steinzeitlichen Jäger- und Sammlervorfahren, die ersten Bauernkulturen, aber auch noch für die danach in Nord- und Mitteleuropa verbreiteten Kelten und Germanen. Dabei muss man sich immer wieder bewusst machen, dass es „die“ Kelten und „die“ Germanen nicht gibt. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Vielzahl an Stämmen und Clans. Vereinfacht gesagt, waren die keltischen Stämme in Mitteleuropa um etwa 800 v Chr. bis kurz vor Beginn unser Zeitrechnung heimisch, während die germanischen Stämme ursprünglich in Nordeuropa, Skandinavien zu Hause waren und sich kurz vor Beginn unser Zeitrechnung immer wieder bis zum Beginn des Mittelalters Richtung Süden ausbreiteten. Im Laufe der Zeit kam es zu zahlreichen Wanderbewegungungen und damit der Vermischung von keltischem und germanischem Kulturgut. Das und die wenigen Überlieferungen von diesen Stämmen selbst, kann es teilweise schwer machen, diese beiden naturverbundenen Stammeskulturen auseinanderzuhalten.
Die keltischen Stämme prägten die Kulturgeschichte in Europa über gut 800 Jahre bis kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung. Die Siedlungsgebiete der keltischen Stämme erstreckten sich in ihren Blütezeiten fast über ganz Mitteleuropa. In der Hallstatt-Zeit ab ca. 800 v. Chr. siedelten keltische Stämme in einem Kerngebiet von Ungarn über den gesamten Alpenraum bis nach Ostfrankreich. In der La Téne-Zeit, einer zweiten Blüteperiode der keltischen Kultur ab ca. 450 v. Chr. breiteten sich keltische Stämme bis in den Mittelmeerraum nach Griechenland und Kleinasien und im Westen bis nach Spanien und um ca. 200 v. Chr. bis auf die britischen Inseln aus.
Das Ende der keltischen Blütezeit begann mit dem Vordringen der Römer kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung über die Alpen, von germanischen Stämmen aus dem Norden in Richtung Süden und von slawischen Völkern aus dem Osten. Von nun kam es zu einer starken wechselseitigen kulturellen Beeinflussung, Vermischung, aber auch Verdrängung und Überlagerung. Der starke Missionierungsdruck der aufstrebenden christlichen Kirche spielt ebenfalls eine große Rolle. Damit wurde das Ende der naturverbundenen Stammeskulturen in Europa eingeläutet, die langsam in anderen Kulturen aufgingen.
Wer waren die Kelten?
Im europäischen Kulturraum war es immer schon zur Vermischung und wechselseitigen Beeinflussung von aufeinander treffenden unterschiedlichen Kulturen gekommen. So entstand auch die keltische Kultur, nachdem viehzüchtende indoeuropäische Reitervölker aus den Steppen des Ostens auf der Suche nach Weideflächen im Westen auf archaische Waldbauern in Mitteleuropa stießen. Diese Wanderfeldbauern lebten auf gebrandrodeten Lichtungen in dem von dichten Urwäldern bewachsenen Mitteleuropa. Wenn der Boden nichts mehr zum Leben hergab, zogen sie weiter. Die Kultur dieser patriarchalisch organisierten Hirten- und Steppenkrieger verschmolz nun ab ca. 1500 v. Chr. mit der Kultur der matriarchalisch organisierten Waldbauern. Dabei vermischten sich auch die Erd- und Pflanzen-Gottheiten der erdverbundenen Waldbauern mit den Himmels- und totemischen Tier-Gottheiten der indoeuropäischen Steppenvölker.
Die keltischen Stämme hatten weder ein zusammenhängendes Reich, noch eine einheitliche Sprache, Religion oder Kultur. Daher gibt es auch nicht den einen keltischen Jahreskreis. Die Kelten waren durch miteinander über die Väterlinie patrilinear verwandte Sippen und Klans innerhalb eines größeren Stammesverbandes organisiert. Als Erbe der matriarchalisch organisierten Waldbauerkulturen spielte jedoch auch die Mutterlinie eine große Rolle, etwa beim Aufziehen der Söhne. Die keltische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen hat sich bis lange in unsere Zeit gehalten: Die Männer machten die schwere körperliche Arbeit mit dem Pflug und Vieh, betrieben Handel und Krieg, während die Frauen für den Haushalt, Garten und die Heilkunde zuständig waren. Diese Rollen waren jedoch durchlässig. So wurde auch von kriegerischen Frauen berichtet. Frauen hatten sowohl bei den Kelten, als auch Germanen einen recht gleichberechtigten Status. Ihr Rat als Seherinnen (Veleda) wurde hoch geachtet. Die Kelten lebten in Großfamilien mit ihrem Vieh auf Einzelhöfen oder in kleinen Weilern. Sie betrieben auch aufgrund einiger Erfindungen äußerst erfolgreich eine Mischung aus Viehzucht und Ackerbau. Die keltische Landschaft bestand daher aus einem Flickenteppich aus Wald, Wiese, Weide und Ackerland. Auf Anhöhen gab es befestigte Flieh- und Wehrburgen (oppida), die später bereits teilweise städteähnlichen Charakter hatten.
Nicht-Wissen und die Freiheit der eigenen Interpretation
Sicher wissen wir heute nur sehr wenig über unsere keltischen Vorfahren. Das muss man sich immer bewusst machen. Denn es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen der Kelten, die uns Einblicke in das Leben aus erster Hand erlauben würden. Gleiches gilt im Übrigen auch für unsere germanischen Vorfahren. Das Wissen der Kelten wurde aus kultischen Gründen von Druiden an Druiden in mehrjährigen Ausbildungen mündlich überliefert. Was wir heute wissen, haben wir uns aus archäologischen Funden zusammengereimt oder aus den schriftlichen Aufzeichnungen der Römer, Griechen und der irischen Mönche entnommen. Bei diesen Berichten sind gewisse Ungenauigkeiten zu vermuten – sowohl aufgrund von fehlenden genauen Kenntnissen der keltischen Stammeskulturen, als auch aufgrund der jeweiligen Intentionen und subjektiven Sicht der römischen Kriegsherren und christlichen Missionare. Einiges von dem, was wir wissen, entstammt aus den heute noch lebendigen Überlieferungen und gelebten Bräuchen aus Irland. Hier ist der Zeitversatz zu den vor mehr als 3.000 Jahren lebenden Kelten zu beachten und auch, dass es sich um Überlieferungen aus einem geografischen Randbereich der sehr inhomogenen keltischen Stammeskulturen handelt, die vermutlich nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf alle Siedlungsgebiete und unterschiedlichen Stämme erlauben dürfte. Eine weitere Quelle sind auch die in Mitteleuropa und Deutschland noch teilweise überlagerten oder von der christlichen Kirche adaptierten Bräuche, Rituale und Feste. Besonders spannend finde ich die Entdeckung, dass unsere Märchen und Mythen, die viele hunderte und vermutlich tausende Jahre mündlich überliefert wurden, bevor sie von den Gebrüder Grimm und anderen aufgeschrieben wurden, Elemente, Geschichten und Weisheit unserer Vorfahren enthalten.
Wenn wir etwas über die Kelten erfahren wollen, müssen wir also detektivisch auf Spurensuche gehen und die Spuren auch lesen lernen. Das ist bei der menschlichen Spurensuche nicht anders, als bei der tierischen Spurensuche. Und nicht zuletzt dürfen wir uns bewusst sein, dass wir vieles über unsere keltischen Vorfahren nicht wissen. Vieles bleibt daher letztlich unserer eigenen subjektiven Interpretation überlassen. Und das ist auch in Ordnung und eröffnet gerade im Hinblick auf den keltischen Jahreskreis viele Möglichkeiten. Immer schon haben sich Kulturen weiterentwickelt und ihre Sichtweisen, Geschichten, ihren Glauben, ihre Rituale und Lebensweise ihren eigenen Vorstellungen angepasst. Wir dürfen uns hier guten Gewissens eine gewisse Interpretations-Freiheit herausnehmen und selbstverantwortlich entscheiden, welche Sichtweise, welches Ritual und welche Praxis uns heute in unserer Lebenssituation gerade gut tut.
Natur-Spiritualität – Was wir von den Kelten lernen können
Die keltischen Stammeskulturen lebten als Vieh- und Ackerbauern eng verbunden mit den Zyklen der Natur. Mit dem Vordringen der Römern und wissenschaftsorientierten Griechen, der Aufklärung und schließlich fortschreitenden Industrialisierung ist eine starke Betonung von Objektivität, Intellekt, Rationalität, Wissen und Vernunft (Nord- bzw. Winter-Qualität im Jahreskreis) einhergegangen. Dem haben wir sicher viel Fortschritt, Wohlstand und ein Höchstmaß an individueller Freiheit zu verdanken.
Mir ist in den letzten Jahren aber klar geworden, dass durch den starken Fokus auf diesen Nord- und Winterqualitäten auch ein großes Ungleichgewicht entstanden ist. Ich konnte es lange nicht genau fassen: Es ist die Sehnsucht nach dem spirituellen Osten und dem körperlichen und sinnlichen Süden, den ich mein ganzes Leben gespürt habe. Eine Sehnsucht und ein Bedürfnis nach Subjektivität, nach dem nicht Sichtbaren, nach Gefühlen, Träumen, nach Nicht-Wissen, sondern nur vage Ahnen, nach Spüren, nach Zauber, Wunder und Staunen.
Die Medizin (im Sinne von Kraft) der Kelten, die wir heute brauchen, ist ihre tiefe Naturspiritualität, ihre naturmystische Wahrnehmung von der Welt und dem Universum. In unserer einseitig intellektuellen und wissensorientierten Kultur ist es zu einer seelischen Verarmung gekommen, die viele bewusst oder unbewusst fühlen. Auch die in Dogmen erstarrte christliche Religion kann dem immer weniger etwas entgegen setzen. Ich beobachte und erfahre oft, dass meine Mitmenschen nur das als Wirklichkeit wahrnehmen, was sie sehen und sich wissenschaftlich erklären können. Der Glaube an eine nicht sichtbare Welt wird oft als „esoterisch“ verlacht. Dass aber auch die Wissenschaften, bei all den wunderbaren Errungenschaften, vieles nicht sicher wissen und in ihren Erkenntnismöglichkeiten stark eingeschränkt sind, machen wir uns in unserer starren Wissenschaftsgläubigkeit oft nicht klar.
Um mehr Ganzheit und Balance in unserer Leben zu bekommen braucht es neben der Rationalität, der Wissenschaft und der Vernunft auch Irrationalität, subjektiven Glauben, das Wahrnehmen von mehr als der nur sichtbaren und beweisbaren Welt. Und um das nochmal klarzustellen. Mir geht es nicht um „Esoterik“. Denn heute dürfte kein ernsthafter Wissenschaftler mehr bestreiten, dass unsere menschliche Wahrnehmung und unser menschlicher Verstand zu begrenzt sind, um alles mit unseren Augen und unserem Verstand intellektuell wahrnehmen und verstehen zu können. Das geflügelte Wort „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ bringt dieses Bewusstsein zum Ausdruck.
Was wir modernen Menschen häufig aberzogen und verlernt haben, ist die Wahrnehmung der nicht sichtbaren Welt. Wenn wir uns darauf einlassen und Konzepte – besonders auch menschliche Konzepte von der sichtbaren und nicht sichtbaren Welt – hinter uns lassen, dann können wir spüren, dass da mehr ist. Hier können wir uns von den Kelten inspirieren lassen. Etwa wenn nach der Vorstellung der Kelten zu bestimmten Zeiten im Jahreskreis – den Mondfesten – die Vorhänge zur Anderswelt, der Welt der Geister und Verstorbenen, dünn wird. Oder, wenn „hell“seherische Menschen Zeichen in der Natur und dadurch ihr Innerstes und das der Welt erkennen. Und auch hier zur Klarstellung: Hellseher sind für mich einfach Menschen, die eine besonders offene und feine Wahrnehmungsfähigkeit haben. Wenn wir uns in der Natur erkennen, entdecken wir, dass wir nichts anderes als Natur sind und alles letztlich Eins ist und demselben Rhythmen folgt. Immer und immer wieder.
Der keltische Geist war weder rationalistisch, noch systematisch. Er war frei von jeder Dualität und Trennung, sondern begriff den Mensch, die Natur, eine höhere Kraft oder Göttlichkeit und die innere und äußere Unter- oder Schattenwelt als Eins. Der keltische Geist trennte nicht zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Zeit und Ewigkeit, Menschlichem und Göttlichem. Die Kelten begegneten einem solchen Gefühl des Getrenntseins mit dem gefühlsmäßigen Wissen der verbindenden Kraft der Freundschaft. Es geht hier um vor allem um Freundschaft mit sich selbst und der Natur, was letztlich für die Kelten dasselbe ist. Diese Freundschaft konnte Andersartigkeit, Ambivalenz und Widerspruch aushalten und war geprägt von Symbolismus und Phantasie.
Wie bei den meisten indigenen Naturvölkern galt bei den Kelten und Germanen alles als beseelt und heilig (Animismus), nicht nur die Pflanzen und Bäume, sondern auch die Erde, die Steine, Flüsse und Bäche – die gesamte Landschaft. Es gab unzählige Naturgottheiten und eine Vielzahl an besonderen Kraftorten, wie Quellen und Bäche, Höhlen, besondere Bäume oder Felsen. Die Kelten und Germanen verehrten ihre Götter nicht in Monumentalbauten, sondern in der Natur. Jeder Stamm hatte seinen heiligen Hain (Nemeton), für den häufig besondere Verhaltensregeln galten und wo man dem Göttlichen ganz konkret begegnen konnte. Auch Tiere hatten häufig eine besondere symbolische Bedeutung und waren Gefährten, Ratgeber und Lehrer für Kelten (Totemismus). Viele Gottheiten konnten die Gestalt von Tieren annehmen und so ihre Symbolkraft verkörpern.
Für die Kelten war das Sichtbare und das Unsichtbare Eins. Die Luft – der Osten ist der Ort des Unsichtbaren, des Spirituellen, der Seele. Alles, was in der Welt der Seele ist, sehnt sich danach in einen Ausdruck zu kommen und eine sichtbare Form im Süden zu finden. Tanz und Gesang sind Beispiele dafür. Die Natur ist der unmittelbarste Ausdruck einer göttlichen Vorstellungskraft. In ihr kommt der Schönheitssinn einer göttlichen Kraft zum Ausdruck – eine Schönheit, die so schön ist, dass es manchmal schon schmerzt. Die keltischen Stammeskulturen sind mit ihren heiligen Orten und ihrer Vorstellung einer beseelten und belebten Welt ein wunderbares Vorbild, wie das Sichtbare und das Unsichtbare in unserer Wahrnehmung auseinander hervor- und ineinander übergehen kann.
Wir können von unseren keltischen Vorfahren lernen, die in unserer Gesellschaft dominierenden Nord-Qualitäten im Jahreskreis von Intellekt und Wissen in eine gute Balance zu bringen mit den Ost- und Süd-Qualitäten einer sinnlichen und körperlichen Natur-Spiritualität. Wir können uns dabei vom keltischen Jahreskreis inspirieren lassen, wie er heute überliefert ist und dürfen uns dabei die Freiheit nehmen, einen für uns fühlbaren und stimmigen Weg zu mehr Ganzheit und Eins-sein zu finden.
Und wenn du ganz tief in dich reinspürst, dann kannst du vielleicht merken, dass die Naturspiritualität und Naturverbundenheit unserer keltischen Vorfahren auch noch in dir steckt.
Der keltische Jahreskreis als Spiegel und Kompass der inneren Landschaften
Was bringt dir ein Lebensrad, wie der keltische Jahreskreis?
Der Keltische Lebenskreis ist wie alle Lebensräder ein Modell, dass die Komplexität des Lebens und seiner Rhythmen vereinfacht. Lebensräder können als Spiegel dienen, für die verschiedenen Prozesse, die dem universellen Kreislauf im Rhythmus von Entstehen und Vergehen folgen. Dadurch können wir erkennen, wo wir gerade in dem Prozess, in unserem Leben stehen. Der Jahreskreis gibt uns Erkenntnis und Orientierung. Die Bezeichnung als Lebens-Kompass (Ursula Seghezzi) finde ich daher sehr passend. Wir können uns immer wieder im Jahreskreis verorten. So können wir in all der Komplexität und den Schwierigkeiten des Lebens nicht verloren gehen. Der Jahreskreis gibt uns Sicherheit. Und nicht nur das. Er kann uns auch Vertrauen und Gelassenheit, gerade in schwierigen Phasen geben. Im ewigen Kreislauf können wir darauf vertrauen, dass sich das Rad weiterdreht. Es gibt keinen ewigen Stillstand. Nach dem Winter kommt der Frühling. Nach der Dunkelheit das Licht. Nach der Nacht kommt der Morgen. Das ist sicher! Ja und selbst für unsere letzte Station auf dieser Erde kann uns der Jahreskreis Trost spenden. Denn wir können sicher sein, dass sich auch hier das Rad weiterdreht. Aus der reifen Frucht wird nach dem Tod der Samen. Nichts verschwindet für immer, alles verwandelt sich nur in etwas anderes. Auch wenn wir nicht genau wissen, was passiert, darauf können wir vertrauen. Und dieses Vertrauen kann uns die Angst vor dem Unbekannten mildern.
Das Bild vom Lebens-Kompass finde ich auch deswegen schön, weil es uns auch ins Handeln bringen kann. Er bringt Klarheit, über das, was zu tun ist. Wir wissen nicht nur, wo in unserer inneren Landschaft wir stehen, sondern wir können auch erkennen, wohin wir müssen. Im Jahresrad können wir ablesen, welchen Schritt wir nun gehen müssen, um weiter zu kommen, um zu wachsen, aufzublühen, zu reifen oder loszulassen, um neu zu beginnen. Der Lebens-Kompass hilft uns, uns bei all der ständigen Veränderungen im Leben wieder auszurichten, damit wir in die Richtung gehen können, die es nun braucht. Schon die Buddhisten erkannten, dass es sehr herausfordernd sein kann, dass sich alles im Leben ständig verändert und nichts auch nur eine Sekunde gleich bleibt (Prinzip von Anicca – Veränderlichkeit). Das kann sich sehr verunsichernd anfühlen. Der Lebens-Kompass kann uns hier helfen, Orientierung und damit Sicherheit zu finden.
Der Kreislauf der Jahreszeiten den der Keltische Jahreskreis beschreibt, spiegelt unsere menschliche Entwicklung bezogen auf das ganze Leben – von der Geburt bis zum Tod. Der Jahreskreis spiegelt aber auch unsere vielfältigen inneren Landschaften – bezogen auf einzelne Lebens-, Entwicklung-, Veränderungs- und Wachstumsprozesse. Und sogar im ganz Kleinen können wir entdecken, dass unsere tagtäglichen Stimmungslagen einem inneren Frühling, Sommer, Herbst oder Winter entsprechen. Gleiches gilt für den weiblichen Menstruationszyklus, wo die Phase bis zum Eisprung, die Follikelphase unser innerer Frühling, der Eisprung der Sommer, die darauf folgende Lutealphase der Herbst und die Menstruation der Winter ist. Die Parallelen und Einsatzbereiche sind unglaublich vielfältig. Der Keltische Jahreskreis kann beispielsweise auch als Rad der Kreativität genutzt werden und die Phasen des kreativen Schaffens- oder Lernprozesses beschreiben. So gestalten auch die wildnispädagogischen Wildnisschulen nach dem Vorbild von solchen Rädern und Kreisläufen Lernräume für die persönliche Entwicklung. Selbst mein Lauf-Training folgt immer und immer wieder dem Rhythmus des Rades, von Motivation, Aktion und Regeneration.
Auch das gibt Vertrauen und Sicherheit: Mit der Zeit erfahren wir, dass der ewige Rhythmus von Entstehen und Vergehen sich ständig wiederholt und in ganz vielen Bereichen wirksam ist. Dadurch kann Verbindung und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen, dem Netz des Lebens entstehen. Die Rückbindung an den natürlichen Rhythmus des Lebens hat in der modernen Welt zwar nicht mehr die gleiche Dringlichkeit, wie für unsere Vorfahren, deren Überleben davon abhing. Vielleicht hat es aber nicht viel an Dringlichkeit eingebüßt. Denn in unserer modernen Welt voller Entfremdung und seelischer Verarmung, sichert die Rückbindung an den natürlichen Kreislauf das Überleben unserer Seele. Wir können wieder im Einklang mit dem universellen Rhythmus des Lebens leben, der auch unser eigener Lebensrhythmus ist. Wir können heimisch werden auf dieser Welt. Eingebettet in den ewigen Kreislauf wiegt uns der Rhythmus des Lebens – auf und ab und auf und ab.
Naturverbindung – Zurück zu unseren europäischen Wurzeln
Was das Thema Naturspiritualität und Naturverbundenheit angeht, gibt es viele gute Anregungen und Impulse, die sich in allen Kulturen rund um den Globus finden. Wie es schon immer das Wesen des Menschen war, können wir selbstverständlich von anderen Kulturen lernen. In unserer heutigen modernen Zeit sind dies vor allem die noch lebenden Nachfahren der letzten indigenen und naturverbundenen Stammeskulturen in Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und Australien.
Warum aber, macht es großen Sinn, dabei nicht die eigenen europäischen Wurzeln zu vergessen?
Lebensräder wie der keltische Jahreskreis sind der Ausdruck konkreter Naturerfahrung in kulturell gefasste Bilder (Ursula Seghezzi, Der Lebenskompass). Es gibt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen Natur und Kultur. Menschen und ihre Kultur sind geprägt von der Landschaft, in der sie wohnen und deren klimatischen und jahreszeitlichen Besonderheiten, den einheimischen Pflanzen und Lebewesen. Wenn man sich das klar macht, versteht man auch, warum sich viele Lebensräder voneinander unterscheiden, auch wenn der universelle Rhythmus von Entstehen und Vergehen immer gleich bleibt. So ordnen manche Räder das Element Feuer dem Sommer und manche dem Herbst oder Frühling zu. Gleiches gilt für das Element Wasser. Auch die Zuordnung der Zeitqualitäten und der Menschheitsphasen unterscheiden sich teilweise im Detail. Was gleich bleibt ist aber die Funktion und Bedeutung, die solche Lebensräder für uns Menschen haben können. Sie sind Modelle, Vereinfachungen der Komplexität des Lebens, die uns Orientierung, Vertrauen und eine Rückbindung an die Natur geben.
Auch unsere keltischen Vorfahren, ihre Götter und Geschichten, ihre Wahrnehmung von der Welt waren zutiefst geprägt von der Landschaft, dem Klima, den Pflanzen und Lebewesen in Mitteleuropa. Wenn es in unserer modernen Welt bei der Verwendung von Lebensrädern vor allem um eine Rückbindung an die Natur und die natürlichen Kreisläufe des Lebens geht, dann macht es Sinn sich an Lebensrädern zu orientieren, die die Bild- und Symbolsprache unserer Vorfahren und der natürlichen Umgebung, in der wir leben, sprechen. Die Bild- und Symbolsprache unserer keltischen Vorfahren ist vermutlich noch tief gespeichert in unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele.
Der Keltische Jahreskreis ist ein europäisches Medizinrad. Er orientiert sich an der europäischen Landschaft und am europäischen Kulturgut, auch wenn wir um die Ungenauigkeiten in der Überlieferung wissen. Denn den einen keltischen Jahreskreis gibt es nicht. Wir müssen selbst Verantwortung für uns übernehmen. Wenn wir den Keltischen Jahreskreis leben, geht es nicht um ein schematisches oder dogmatische Abarbeiten von vermeintlich feststehenden und genau zu beachtenden Vorgaben. Wir müssen immer selbst spüren und erfahren und beobachten, wo uns der Weg hinführt.
Gleichgewicht und Polarität im achtspeichigen Rad
Die Jahreskreisfeste entstanden aus dem Leben in der Natur und der genauen Beobachtung der natürlichen Vorgänge und des Verlaufs der Sonne und der Himmelskörper. Der keltische Jahreskreis setzt sich aus insgesamt acht Festen im Jahresverlauf zusammen, die sich an den Jahreszeiten und dem Verlauf der Himmelskörper im Jahresverlauf orientieren. Die Feste liegen sich im Jahreskreis jeweils gegenüber und bilden so ein achtspeichiges Rad. Dadurch drückt sich auch eine gewisse Polarität im Jahreskreis aus, in der sich gegensätzliche Kräfte – Leere und Fülle, Entstehen und Vergehen, Wachstum und Rückzug, Aktivität und Stillstand – über den Jahreslauf gesehen wieder in einem Gleichgewicht miteinander finden.
Sonnen- und Mondfeste
Im Jahreskreis der Kelten sind vier Sonnenfeste fest durch den Verlauf der Sonne auf der Nordhalbkugel vorgegeben: die Sonnenwenden im Sommer (längster Tag und kürzeste Nacht) und Winter (längste Nacht und kürzester Tag) und die Tag- und Nachtgleichen im Frühling und Herbst. Sie kennzeichnen den Höhepunkt der jeweiligen Jahreszeit und zugleich einen Wendepunkt. Durch sie entsteht das keltische Kreuz im Jahreskreis.
Zwischen diesen Festen liegen vier Mondfeste, die früher zu einem bestimmten Voll- bzw. Neumond im Jahr gefeiert wurden. Mit der Einführung des römischen Kalenders und der Christianisierung der vor-christlichen Bräuche der Kelten, wurden die Mondfeste auf einen bestimmten Kalendertag festgelegt. Die Mond-Feste wurden je zu Ehren eines Götterpaares gefeiert. Dieses Gottheiten übernahmen an dem Fest die Vorherrschaft über den Zeit-Raum bis zum nächsten Mondfest. Die Kelten nannten diesen Zeitraum das Reich der jeweiligen Gottheit. Jede dieser Gottheiten verkörpert die natürliche Zeitqualität im Jahresverlauf. Häufig sind sie eng verbunden mit bestimmten Tieren oder jahreszeitlichen Pflanzen.
Jahreskreisfeste im Überblick
Der Jahreskreis lässt sich in Orientierung an die Lichtverhältnissen im Jahresverlauf in eine dunkle und eine helle Seite einteilen. Für die Kelten begann das Jahr und auch der Tag (als Einheit von Tag und Nacht) jeweils mit der dunklen Hälfte, dem Herbst oder der Dämmerung. Das keltische Jahr startet daher Anfang November mit dem Mondfest Samhain zu Ehren des Totengottes Samhain und der schwarzen Göttin Morrigan. Es wurde als einziges der vier Mondfeste zum Neumond gefeiert, dem Neumond, der der Herbst-Tag und Nachtgleiche am nächsten ist. Die anderen drei Mondfeste wurden jeweils zum Vollmond gefeiert. Die Wintersonnenwende ist die dunkelste Nacht, in der die Geburt des Lichts, des Sonnengottes gefeiert wird. Die Zeit zwischen den Jahren – die Rauhnächte – diente der Angleichung des Sonnen- und des Mondkalenders. In diesen besonderen Nächten stand alles still. Es ist eine Zeit für Reflexion. Zum Februar-Vollmond übernimmt die weiße Göttin Brighid mit ihrem Bären die Herrschaft. Sie bringen das Licht zurück und erwecken die Erde zu neuem Leben. Ihr zu Ehren wird das Fest Imbolcgefeiert. Die Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche ist der Höhepunkt des Frühlings. Die Natur ist geprägt von Aufbruch und Wachstum. Licht und Dunkelheit sind im Gleichgewicht. Im Mai beginnt zu Beltane oder Walpurgis mit wilden und ausgelassenen Mai-Feierlichkeiten zum Mai-Vollmond die helle und warme Hälfte des Jahres. Es ist die Zeit des Sonnengottes Bel oder Belenos und seiner fruchtbaren Blumengöttin Belisama (Dana), die sich bei der heiligen Hochzeit vermählen. Die längsten Tage des Jahres und lauen Mittsommernächte laden zur Sommersonnenwende zu Freudenfeuern ein. Die Pflanzengöttin ist nun schwanger mit Früchten der Erde. Der August-Vollmond leitet mit dem Fest Lughnasad oder Lammas die Ernte-Zeit ein. Es ist die Zeit der Verwandlung. Der Fruchtbarkeitsgott Bel verbrennt bei diesem Erntefest in den heißen Augustfeuern und verwandelt sich in den feurigen und leuchtenden Gott Lugus oder Lug. Zusammen mit seiner Ernte- oder Korngöttin steht er für die Vollendung des Wachstumszyklus, für das Vergehen und das Verblühen und Versamen, das den neuen Lebenszyklus erst möglich macht. Die Herbst-Tag- und Nachtgleiche stellt den Höhepunkt der Erntezeit dar. Diese Zeit ist geprägt von Erntedankfesten und der Vorbereitung auf den kommenden Winter.
Hier sind die acht Feste im Überblick mit ihrer kalendarischen Verortung und der entsprechenden Zeitqualität:
Samhain
Neumondfest – 1. November
Ahnen, Wurzeln, Rückzug, Sterben, Loslassen
Wintersonnenwende / Jul
Sonnenfest – 21./22. Dezember:
Geburt des Lichts in der Dunkelheit, Stille, Leere, Regeneration, Hoffnung, Vertrauen
Rauhnächte
25. Dezember bis 06. Januar
Zeit zwischen den Jahren: Übergang, Grenzwanderung, Anderswelt, Rückschau und Vision
Auch heute können wir, wenn wir auf detektivische Spurensuche gehen, vieles entdecken, was keltischen oder germanischen Ursprungs ist. Keltische Weisheit, Naturspiritualität und Naturverbundenheit ist noch nicht verschwunden. Sie ist zum Teil überlagert vom Christentum und anderen Kulturen. Auch das ist nichts Negatives, sondern ist der ewige Lauf der Dinge, dass alles sich verändert und nichts gleich bleibt.
Es macht Spass, die Augen offen zu halten, nach uralten vorchristlichen Bräuchen und Ritualen. Dann können wir feststellen, dass sie uns nicht nur im Märchen begegnen. Keltisches Kulturgut und keltische Weisheit begegnet uns fast tagtäglich im Alltag – in der Sprache, der Landschaft, den (Heil-)pflanzen und Bäumen. Wir können, dass als Anlass nehmen und uns an unsere indigenen Vorfahren erinnern und daran, wie die tief verwurzelt sie waren in den Kreisläufen der Natur und des Lebens.
Quellen: Storl, Wolf Dieter: Pflanzen der Kelten; Ursula Seghezzi, Der Lebenskompass, in: Bögele/Heiten, Räder des Lebens; Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; O’Donohue, John: Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit; Das Buch der keltischen Mythen, Von Göttern, Kriegern, Feen und Druiden; Bögele, Robert / Heiten, Gesa: Räder des Lebens
Der letzte Tag vor dem neuen Jahr ist zugleich die siebte der sogenannten Rauhnächte. Den Tagen „zwischen den Jahren“ wurde seit altersher eine besondere Bedeutung beigemessen (siehe auch Der Keltische Jahreskreis – ein europäisches Medizinrad). Diese zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem sechsten Januar dienten der Angleichung des Mond- an den Sonnenkalender. Deswegen heißt es auch “Zeit außerhalb der Zeit” oder “Zeit zwischen den Jahren” oder auch Rauhnächte. Diese dunklen und kalten Tage und Nächte wurden traditionell zur inneren Einkehr genutzt (deswegen auch Innernächte genannt), zum Danken, zur Rückschau, zum Innehalten und Loslassen, zum Befrieden und sich Öffnen und zur Vissionssuche und Einladung für Neues.
In diese Zeit fällt der Jahresabschluss – Silvester. Auch wenn das heutige Datum des Jahresendes, der 31. Dezember, eher zufällig ist und sich keinem Himmelsereignis zuordnen lässt, kann man davon ausgehen, dass das heutige Silvester seinen Ursprung in germanischen Mittwinterfeiern (Wintersonnenwende) und alten heidnischen Bräuchen zum Aufwecken der Erde aus dem Winterschlaf hat.
Abschluss und Neubeginn
Wir können den Jahreswechsel nutzen, um uns mit den Themen Abschluss und Neubeginn in unserem Leben zu beschäftigen – Vergangenes sterben lassen, um Raum für neues Leben zu schaffen. Die Vorbereitung auf unsere Zukunft. Unsere heutigen Herzenswünsche entdecken, denn die verändern sich im Laufe der Zeit. Mit sich und den anderen ins Reine kommen, in den inneren Frieden. Es ist eine Gelegenheit für eine Neuausrichtung, für eine Innenschau, um neue Klarheit über das eigene Leben zu gewinnen.
Orakel und Weissagung bei unseren Vorfahren
Traditionell und seit Urzeiten wurde orakelt und geweissagt. Das Orakeln, wie etwa bei den alten Griechen den Flug der Vögel zu beobachten, half gegen Ängste vor der ungewissen Zukunft und bot Orientierung für den weiteren Weg. Könige, Feldherrn, Seeleute und Bauern wollten Beistand bei wichtigen Entscheidungen und Vorhaben. Hieraus spricht auch die tiefe Verbundenheit mit der Natur, die genau beobachtet wurde und in deren Spiegel die Menschen ihre innersten Wünsche und inneren Landschaften entdecken konnten.
Orakeln als Weg zur Innenschau
Das Orakeln kann auch heute eine wichtige Bedeutung für uns haben – nicht als „esoterischer“ Hokus Pokus, sondern als Gelegenheit zum Innehalten, zur Innenschau und zur Reflexion. Mit dem Phänomen der selektiven Wahrnehmung lässt sich auch erklären, dass wir die Zeichen sehen und so für uns deuten, dass sie das, was uns beschäftigt, etwas für uns Bedeutungsvolles widerspiegeln. Wir nehmen das wahr, was unseren inneren Landschaften und Themen entspricht und können ihm mit unserer inneren Weisheit die Bedeutung geben, die für uns wichtig ist.
Erinnerung an unsere Begrenztheit
Das Orakel ist für mich auch eine wertvolle Erinnerung daran, dass wir so vieles im Leben nicht wissen und verstehen und über so viele Dinge keine Kontrolle haben. Das Leben ist ein heiliges Wunder.
Vertrauen an unsere innere Weisheit
Beim Orakeln ist es wichtig darauf zu vertrauen, dass alle Fragen und Antworten immer in uns sind – auch wenn wir nicht immer Zugang dazu haben. Zur richtigen Zeit kommen die Fragen und Antworten, die wir zum Wachsen brauchen, zu uns. Was wir tun können, ist dafür gute Bedingungen und Räume zu schaffen. Eine Möglichkeit ist das Orakeln.
Verbindung zu uns selbst
Beim Orakeln geht es auch um Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment, um Offenheit, um das frei machen von Konzepten und Geschichten. Die Kunst des Orakelns ist die Kunst mit den Erkenntniskräften unserer Seele und unseres Herzens in Verbindung zu kommen. Die Zukunft können wir mit der Antwort des Orakels nicht festlegen. Wir können mit unserer inneren Weisheit verstehen, Klar-Sehen (in der buddhistischen Theravada-Tradition: Vipassana) und den richtigen Weg einschlagen.
Fragen zum Jahreswechsel
Wir können uns zum Jahreswechsel folgende Fragen stellen und uns die Dringlichkeit unserer Fragen bewusst machen. Denn die vermutlich einzige Sicherheit im Leben, die wir kennen, ist, dass wir sterben müssen. Wir wissen nur nicht wann.
Das vergangene Jahr ehren
Welche Momente im vergangenen Jahr haben dich mit tiefer Freude erfüllt?
Welche Situation war besonders herausfordernd und was durftest du dadurch lernen?
Was hast du im letzten Jahr so richtig gut gemacht, was dich mit Stolz erfüllt?
In das neue Jahr träumen
Was zählt wirklich in deinem Leben?
Wo stehst du heute? Wer bist du heute?
Was ist dir wichtig? Wofür brennst du wirklich? Was sind deine Herzenswünsche?
Welche Talente und Stärken wurden dir geschenkt, die du in die Welt geben möchtest (give your gift)?
Was möchtest du bewahren und verstärken (Beziehungen, innere Qualitäten, Aktivitäten, Denk- und Handlungsmuster)?
Was möchtest du verändern?
Was brauchst du, um deine Herzenswünsche zu erreichen? Was behindert dich und engt dich ein (z.B. Erwartungen anderer, eigene Vorstellungen davon, was andere von uns erwarten, eigene einengende Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ist)?
Verschiedene Orakelformen
Neben den bekannten Orakeln, wie Kartenlegen, Tarot oder Blei- oder Wachsgießen ist das Feuer (Kerze oder Lagerfeuer) oder die Natur (Vogelflug, Bäume, fließendes Wasser) eine der ältesten Orakel-Formen.
Das Orakel befragen
Um das Orakel zu befragen und in die Reflexion zu gehen, kann man sich im Geist mit geschlossenen Augen eine bestimmte Fragen stellen. Wenn man sich eine Frage gestellt hat, öffnet man die Augen und blickt entspannt auf die Karte, das Stück Blei, die Vögel, in die Flammen, in einen Bach oder einfach auf einen Baum. Dabei sollte man nicht nach Formen suchen, sondern warten bis etwas auftaucht in den Formen und Geräuschen des Orakels. Spüre genau in dich hinein, welche Gefühle, Bilder und Gedanken diese Formen oder Geräusche des Orakels in dir auslösen. Bleib dabei bis in dir ein bestimmtes Gefühl, ein inneres Bild oder ein Gedanke auftaucht. Schließe nun die Augen und spüre der Antwort nach. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Frage irgendwie beantwortet wurde, auch wenn du es noch nicht richtig verstanden hast, kannst du das Orakel beenden.
Sich daran erinnern, was wirklich zählt
Du kannst mit den Fragen auch in irgendeiner anderen Form arbeiten, sie zum Beispiel aufschreiben – ohne viel darüber nachzudenken, sondern einfach das, was auftaucht (Journaling). Du kannst auch nur einige für dich bedeutungsvolle Fragen oder andere für dich passendere Fragen suchen. Auch die Suche nach den richtigen Fragen kann schon Erkenntnis sein. Letztlich geht es darum, sich daran zu erinnern, was wirklich zählt, dass wofür man brennt. Das kann uns die Kraft und den Mut geben, sich – die eigene innere Haltung – immer wieder aufs Neue darauf auszurichten!
“Tell me, what else should I have done?
Doesn’t everything die at last, and too soon?
Tell me, what is it you plan to do with your one wild and precious life?”
In den Rauhnächten habe ich wieder eine Nacht alleine bei Minusgraden in meinem selbst gebauten Shelter in dem abgelegenen kleinen Wildnis-Gelände Ronscht in Rheinhessen geschlafen. Es war diesmal mit viel weniger Ängsten verbunden, als beim ersten Mal vor einem Jahr. Es lohnt sich, herausfordernde Dinge mehrfach zu machen. Ich durfte wieder viel über mich und die Ronscht-Wildnis lernen – diesen für mich seit meiner Kindheit besonderen und verwunschenen Ort fast unberührter Natur. Über mir hat sich die Weite des klaren Wintersternenhimmels geöffnet. Ich habe die Füchse bellen gehört und meine Jäger- und Sammlerseele gespürt, mit ihren uralten Ängsten vor der Dunkelheit. Ich habe meine inneren Prozesse im Spiegel der Natur erkannt und voller Dankbarkeit, tiefer Freude und Neugier Botschaften aus der Natur empfangen.
Die Kraft der Wiederholung
Wenn man Dinge mehrfach tut, fallen sie einem leichter. Beim letzten Mal hatte ich viele Ängste vor meiner Solo-Übernachtung in der Ronscht. Dieses Mal war es unaufgeregter, aber nicht weniger spannend. Ich lerne wieder viel über mich, meine alte Jäger- und Sammlerseele und dieses unberührte Fleckchen Wildnis.
Wer nicht frieren will, muss sich gut vorbereiten
Nachmittags bringe ich meine Laubhütte vom letzten Jahr in Ordnung. Sie steht immer noch ganz wunderbar, auch das Trapperbett ist noch in Ordnung. Ein Blick nach drinnen verrät aber, dass sie nicht mehr ganz dicht ist – überall scheint Licht durch. Ich fülle das Innere nochmal mit Laub und dichte auch von außen mit Laub und Rinde ab.
Natur als Spiegel unserer inneren Landschaften
Dann mache ich einen Rundgang durchs Gelände. Alles ist stark zugewachsen. Ich schlage mich durch einen mannshohen Brennnessel-Wald. Plötzlich stehe ich vor einem kleinen Rotschwanznest in einem kleinen Bäumchen. Es ist ganz nah und genau auf Sichthöhe. In solchen Momenten habe ich das Gefühl, die Natur spricht mit mir. Ich erkenne meine inneren Seelenlandschaften und Botschaften aus meinem Inneren im Spiegel der Natur. Dieses Phänomen lässt sich mit dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung erklären, wonach sich meine Wahrnehmung auf das richtet und das sieht, was mich gerade beschäftigt. Das Nest ist für mich heute ein Zeichen für Sicherheit und das Gefühl, zu Hause zu sein – hier Draußen und in mir drin.
Ortskenntnis durch Fährtenlesen und Herumstromern
Ich laufe ziellos weiter, querfeldein und lasse mich von meiner Aufmerksamkeit und Neugier lenken. Ich stoße auf aufgewühlten Boden, versuche die Spuren zu lesen. Ich sehe einen Wildwechsel und ein Stück weiter eine ähnliche aufgewühlte Stelle. Ich entdecke Hufabdrücke und angeknabberte Bäumchen. Es sieht danach aus, als ob ein Rehbock hier sein Revier markiert hat. Rehe markieren ihr Revier mit Duftnoten beim sogenannten Plätzen. Dabei schlagen sie den Boden mit den Vorderhufen auf und setzen Duftmarken mit dem Duftdrüsen in den Hufen. Oft werden beim Reviermarkieren auch junge Bäumchen, wie hier, mit dem Gehörn bearbeitet, um mit den dort sitzenden Duftdrüsen weitere Reviermarken zu setzen. Spannend – das im Winter, obwohl die Paarungszeit erst im Frühjahr beginnt. Ich folge weiter den Wildwechseln durch das Dickicht. Die wildnispädagogische Kernroutine des ziellosen Herumstromerns hat eine ganze Reihe an Effekten, die die Verbindung zur Natur und uns selbst stärken. Sie fördert eine spielerische Leichtigkeit und die Verbundenheit zu einem bestimmten Ort (Ortskenntnis). Gleichzeitig lehrt sie uns, unserer inneren Stimme zu folgen. Auch das Fährtenlesen führt zu einer tieferen Verbindung zur Natur und einem bestimmten Ort – wir können entdecken, mit wem wir uns diesen Ort teilen und was diese Lebewesen hier machen: Wer wohnt hier, was macht er hier und zu welcher Jahres- und Uhrzeit?
Die eigene Komfortzone verlassen
Abends merke ich, wie sich Bequemlichkeit breit machen will. Da sind innere Widerstände und die Frage taucht auf, ob es nicht auch sehr gemütlich in einem warmen Bett wäre und ob eine Übernachtung draußen bei Minusgraden wirklich sein muss. Es ist spannend zu schauen, was mich dazu bringt, es trotz der inneren Widerstände zu tun. Vermutlich das tiefe Wissen, dass Erfahrungen nur durch Tun entstehen und ich mich weiterentwickele, wenn ich meine Komfortzone verlasse. Betrachtet man die Menschheitsgeschichte kann man ebenfalls beobachten, dass sich der Homo Sapiens in der Eiszeit – einer Zeit mit großen Herausforderungen für das Überleben der Menschen – besonders weiterentwickelt hat. Große Herausforderungen rufen nach kreativen Lösungen und neuen Herangehensweisen. Daran können wir wachsen. Die Wildnispädagogik lädt dazu ein, immer wieder die eigene Komfortzone zu verlassen und die eigenen Grenzen zu verschieben. Und ich bemerke auch, dass mir der rituelle Rahmen – eine Solo-Nacht in den Rauhnächten als Ritual und Geschenk an mich selbst, als Zeit für Innenschau und Naturverbindung – hilft, Widerstände und Bequemlichkeit zu überwinden.
Begegnung mit den alten Ängsten unserer Vorfahren vor der Dunkelheit
An meiner Hütte am Feuer genieße ich den sternenklaren tiefschwarzen Nachthimmel. Der Mond ist noch nicht aufgegangen. Ich sehe das Feuer. Um mich herum ist es stockdunkel. Ich spüre die Ängste unserer Vorfahren vor dem, was im nicht Sichtbaren, in der Dunkelheit lauern könnte. Die Angst vor dem Unbekannten. Jedes Knacken und Geräusch regt meine Fantasie an. Ich kann diese Ängste gut halten – ich spüre, dass es unsere alten Jäger- und Sammlerängste sind – und dass diese Wachsamkeit das Überleben von uns Menschen gesichert hat.
Vertrauen in das Licht des nächsten Tages
Nachts wache ich immer wieder auf. Ich höre Füchse bellen. Die Kälte ist kein Problem – meine Hütte und der Schlafsack halten die Wärme auch bei den Minusgraden gut. Dann sehe ich sich bewegende Lichter und bekomme Angst, ein Jäger könnte mich mit einem Reh verwechseln. Ich höre auch Geräusche. Kurz werde ich von Angst überwältigt und überlege abzubrechen. Doch dann spüre ich das tiefe Vertrauen in den kommenden Morgen und weiß, dass die Schreckgespenster in meinem Kopf in der Dämmerung wieder verschwunden sein werden. Es ist schön, dass zu spüren – denn letztlich ist es die Dezember-Energie, die unsere Vorfahren zur Wintersonnenwende gefeiert haben: Das Vertrauen in die Rückkehr des Lichts, des nächsten Tages, des Frühlings und des neuen Lebens.
Was ich von meinen Träumen lernen darf
Ich wache wieder auf und erinnere mich, dass es stark geregnet hat und ich meine Schuhe in den Shelter räumen musste. Doch dann merke ich, dass dies nur ein Traum war, der sich wie das echte Leben angefühlt hat. Ich erinnere mich, wie sehr geschützt ich mich in meinem Traum in meinem Shelter gefühlt habe und fühle mich sicher und geborgen.
Winterwunder – Schönheit und Staunen
Es dämmert und alles steht wunderschön verwunschen im Nebel. Die efeubewachsenen Bäume sehen wie uralte Gestalten aus. Als es heller wird, sehe ich dass alles von feinem Reif überzogen ist. Der Winter ist da. Die Äste haben lange feine Reif-Dornen und die indianische Clanmutter Weaves the Web und Großmutter Spinne, die mich in dem vergangenen Jahr so liebevoll und kraftvoll begleitet haben, verabschieden sich von mir mit hauchzarten, bereiften Spinnenfäden, die von den Ästen im Wind wehen.
Unser uraltes Verhältnis zum Feuer
Es ist eisig kalt und ich bemerke den unwiderstehlichen Impuls meiner Jäger-und Sammler-Vorfahren, ein Feuer anzumachen, um mich zu wärmen.
Kraftorte
Beim Gehen verabschiede ich mich vom heiligen Walnuss-Baum mit den vielen Köpfen. Jedes Mal, wenn ich komme sind weitere Stämme umgestürzt. Bald wird nichts mehr von ihm übrig sein und ich bin gespannt, welcher Ort, welcher Stein, welcher Baum dann seinen Platz als Kraftort übernehmen wird. Zum Abschied grüßt mich die Krähe von der Clanmutter Weighs the Truth, die mich im kommenden Jahr begleiten wird.