Der Sommer-Tag der Kelten, die helle Jahreshälfte, neigt sich dem Ende zu. Die Dämmerung, mit ihrem warmen und weichem Herbstlicht, hat begonnen. Es ist eine gute Zeit, um voller Dankbarkeit zurückzublicken. Wir haben gesät; nach Wachstum, Aufblühen, Reifen und Fruchten, haben wir die Ernte eingebracht und legen nun Vorräte für die dunkle Jahreszeit an.
Jahreskreis: Zeit der Dämmerung

Zwischen dem 21. und 23. September sind die Tage genau so lang wie die Nächte. Im Jahreskreis ist es der Übergang vom Sommer zum Herbst. Im Tageslauf befinden wir uns nun in der Dämmerung. Die Sonne steht im Westen. Im Mondzyklus stehen wir kurz vor dem Neumond.
Der altdeutsche Name für den Monat September „Scheidung“ – von „skeidan“, schneiden, trennen – deutet auf den Abschied vom Sommer hin. Kalendarisch beginnt nun der Herbst. Wehmütig nehmen wir Abschied von der Wärme, Leichtigkeit und Lebendigkeit des Sommers. Doch der Herbst hat seinen eigenen Zauber. Frühnebel hängen in den Tälern, über den Flüssen, Wäldern und Wiesen und verleihen der Landschaft einen mystischen Schleier. Die Nächte werden spürbar kälter – winter is coming.
Es ist die Zeit des Alterns – der sanften, ruhigen und reifen Schönheit und Fülle. Die Blätter färben sich in der goldenen Herbstsonne im warme bunte Rot-, Gelb- und Brauntöne. Der ewige Kreislauf von Entstehen und Vergehen, von Leben und Tod nimmt seinen Lauf. Die Pflanzen treten den Rückzug in den Schoß von Mutter Erde an. Doch es ist kein Abschied für immer. Das Sterben bereitet die Wiedergeburt des Samens im Frühling nach der langen Winter-Zeit des Stillstands und der Regeneration im Inneren der Erde . Wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, dass sich die Natur auf die Wiedergeburt bereits gut vorbereitet hat. Die Anlagen für die Knospen sind bereits an den Bäumen und Sträuchern und in der Erde bilden sich nun starke Wurzeln für den Frühjahrsaustrieb.
Vorchristliche Erntefeste – Mabon

Die Natur schenkt uns Menschen und Lebewesen im Herbst nochmal ein reichhaltiges Nahrungsangebot an Früchten und Nüssen, um die Speicher für die bevorstehende Zeit des Mangels aufzufüllen. Für uns in unserer modernen Welt – mit globalen Handelsketten und einem Überfluss an Nahrungsmitteln zu jeder Jahreszeit – hat die Erntezeit an Bedeutung verloren. Früher war das Anlegen von Vorräten , das Haltbar-Machen der Ernte, das Winterfest-Machen von Haus und Hof und das Schutz-Suchen von Mensch und Tier (z.B. Alm-Abtrieb der Kühe in den Alpen in die geschützten Täler) in dieser Zeit essentiell, um gut durch den Winter zu kommen. Das war noch bei meinen Großeltern fest verankert, die zu dieser Zeit Obst dörrten und einkochten und Kartoffeln und Nüsse einlagerten.
Erntefeste gehören aufgrund ihrer Bedeutung für das menschliche Leben zu den ältesten Festen der Menschheit. Anders als bei den vier Mondfesten im keltischen Jahreskreis – Samhain, Imbolc, Beltane und Lughnasad – gibt es zwar keine genauen Überlieferungen, ob und unter welchem Namen die Kelten und Germanen die Herbsttag- und Nachtgleiche als Fest feierten. Der heute häufig im Zusammenhang mit der Herbstgleiche auftauchende Name Mabon wurde erst von der neu-heidnischen Wicca-Bewegung in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ins Spiel gebracht. Ein unmittelbarer Bezug zur Herbstgleiche besteht nicht. Mabon bedeutet junger Sohn und bezieht sich auf eine alte keltische Sagengestalt, in der ein verlorener Sohn wiedergefunden wurde. Fest steht aber, dass die Kelten die Sonnenstände im Jahresverlauf genau kannten und ihre Bauwerke danach ausrichteten. In Irland – am Rand von Europa – haben viele Überreste des keltischen Kulturgutes relativ unbeeinflußt von der römischen Kultur überdauert. Dort finden sich einige Hinweise auf Feste zu Ehren der Erdgöttin Danu oder anderer Erdgöttinnen zur Erntezeit. Und es gibt weitere Hinweise auf germanische Opferfeste zur Erntezeit – etwa zu Ehren des Ernte- und Fruchtbarkeitsgottes Freyr oder lokaler Erd- und Schutzgöttinnen wie Tamfana oder Dísir (Disarblót, Opfer zu Ehren der Dísir) oder örtlichen Naturgeistern und Ahnen (Àlfablót = Opfer zu Ehren der Álfar). Archäologische Funden deuten darauf hin, dass als Zeichen der Dankbarkeit und des Ausgleichs für die erhaltenen Früchte und Gaben den Erntegottheiten auch Opfer (im Germanischen: blóth = Blut) dargebracht wurden.
Auf die uralte Bedeutung von Ernte- und Dankfesten zur Herbstgleiche weist auch der christliche St. Michaelstag (29. September) zur Ehren des Erzengels Michael und seine zeitliche Nähe zur Herbstgleiche hin. Denn viele kirchliche Feiertage fallen in eine Zeit, die bereits vorchristlich eine besondere Bedeutung für die Menschen hatten. So ist es vermutlich kein Zufall, dass der Erzengel Michael der Schutzheilige für die Bauern und das Vieh ist.
Die regional verschiedenen Erntefeste zum Abschluss der Obsternte, Nussernte oder Weinlese waren früher zudem häufig mit großen Märkten verbunden. Dort wurde die Ernte angeboten und die Menschen versorgten sich für den bevorstehenden Winter. Die alten Erntefeste haben als Feste zu Ehren des heiligen Michaels oder als Kirmes- und Jahrmärkte bis heute überdauert – wenn man etwa an das Oktoberfest in München oder das kleine Apfelkuchenfest bei uns in Köln-Holweide denkt. Nur ihre Bedeutung ist in unserer heutigen Konsum- und Überflussgesellschaft in Vergessenheit geraten.
Und auch wenn wir es nicht genau wissen, so können wir auch heute noch ahnen, um was es bei all diesen alten Erntefesten ging.
🌿 Die Früchte, Körner und Samen voller Dankbarkeit und Freude als Geschenk der Erde und der eigenen Arbeit anzunehmen.
🌿 Im Bewusstsein unserer menschlichen Abhängigkeit von den Gaben der Natur etwas zurückgeben (Opfergaben).
🌿 Und gleichzeitig schwingt die existenzielle Hoffnung auf das Überleben des Winters mit.
Hoffentlich sind wir gut genug vorbereitet auf die Zeit des Mangels.
Schwellentage: Summer kisses, winter tears

Die Zeit um die Herbst-Tag- und Nachtgleiche ist eine Übergangs-, eine Schwellenzeit. Ein bisschen wehmütig müssen wir von unbeschwerten Sommertagen und hellen Sommernächten Abschied nehmen und uns auf die dunkle Jahreszeit vorbereiten. Anders als zur Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche geht es jetzt um den Übergang aus der Fülle in den Mangel, von der Aktivität in die Ruhe, vom Außen nach Innen. Die Drinnen-Zeit beginnt nun langsam wieder. Früher begann nun auch die Zeit des Handwerkens und der Handarbeit – so auch des Spinnens. Der Name Altweibersommer stammt von den feinen Spinnenfäden, mit denen sich nun die jungen Wolfsspinnen durch die Lüfte tragen lassen. Die Menschen früher brachten diese Fäden mit den Schicksalsgöttinnen – den Nornen – in Verbindung, die nach dem alten Glauben die Geschicke der Menschen an seidenen Fäden spinnen.
Im besten Fall sind wir nun zum Ende des Sommers gut genährt und gesättigt von der Sommersonne, der Aktivität der Sommerzeit und Fülle des Sommerlebens. Vielleicht sind wir aber auch ein wenig müde von all den Reizen, der Zeit der Aktivität, der Zeit des im Außen-Seins und freuen uns auf die bevorstehende Zeit der (inneren) Einkehr, Stille, Ruhe, Gemütlichkeit und Erneuerung.
Auch wenn wir uns heute nicht mehr so sorgfältig auf die kommende Zeit der Dunkelheit, Kälte und des Mangels vorbereiten müssen, können wir auch heute noch die Schwellenzeit als wertvolle Übergangszeit nutzen. Wir können bewusst schauen, was wir noch brauchen, um gut durch den Winter und allgemein durch dunkle Stunden in unserem Leben zu kommen. Wir können einen Vorrat an Sommer-Ressourcen anlegen und versuchen, heilsame fruchtbare Erfahrungen und Qualitäten für uns haltbar und nutzbar zumachen.
Vorbereitung auf die Dunkelheit:
🌿 Wo bin ich im Mangel?
🌿 Was brauche ich, um mich satt, genährt und gestillt zu fühlen?
🌿 Was brauche ich, um gut durch Zeiten der Dunkelheit zu kommen?
Gleichgewicht von Hell und Dunkel

Die Herbst-Tag- und Nachtgleiche ist eine Zeit des Gleichgewichts zwischen Licht und Dunkelheit. Passend dazu tritt die Sonne in das Tierkreiszeichen der Waage. In dieser Zeit können wir ein Gefühl für Ausgeglichenheit und Ganzheit bekommen. Jedes natürliche System strebt nach Ausgleich – Balance. Gleichzeitig braucht es im Gesamtsystem auch ein Pendeln nach verschiedenen Polen – die Wachstumsenergie des Frühlings, die pure Lebenskraft des Sommers, das Schwinden der Kräfte im Herbst und die Regenerationszeit des Winters. Gegensätzlichkeiten ergänzen sich im Gesamtsystem, gleichen sich gegenseitig aus und bilden so im Ganzen ein dynamisches Gleichgewicht.
Das können wir auf andere Bereiche des Lebens, einschließlich unsere inneren Jahreszeiten übertragen. Nur wenn wir alle unsere gegensätzlichen und widersprüchlichen Anteile annehmen und zu einem Ganzen integrieren, sind wir im Gleichgewicht und inneren Frieden. Für die innere Balance ist es wichtig sowohl den hellen, als auch den dunklen Seiten Aufmerksamkeit und Raum zu schenken.
Es lohnt sich die hellen Qualitäten – Freude, Dankbarkeit, Gleichmut, Willenskraft, Freundlichkeit, (Selbst-)Mitgefühl, Gestilltheit, Verbundenheit mit mir selbst, den Menschen und der Welt – regelmäßig zu stärken. Hierfür gibt es viele Ansätze für eine regelmäßige Praxis – etwa eine Dankbarkeitspraxis oder die buddhistische Metta-Praxis. Letztlich ist hier deine Kreativität und deine innere Führung gefragt.

Stärkung des inneren Lichts:
🌿 Was hilft hilft dir, die hellen Kräfte in deinem Leben zu stärken?
🌿 Kannst du spüren, durch welche deiner Handlungen diese hellen Kräfte in dir gestärkt werden?
🌿 Was hindert dich, mit deinem inneren Licht, deiner inneren Stärke in Kontakt zu kommen?

Genauso wichtig wie die Verbindung zu den Lichtqualitäten ist die Schattenarbeit.
Schattenarbeit
🌿 Kann ich auch mit den dunklen und unangenehmen Gefühlen und Seiten von mir und anderen sein?
🌿 Oder kann ich mit Nachsicht und Wohlwollen wahrnehmen, dass ich – was recht wahrscheinlich und zutiefst menschlich ist – immer wieder in den Kampf, den Widerstand, das nicht Haben- Wollen von meinen Schattenseiten und „dunklen“ Gefühlen komme?
🌿 Was hilft mir herauszukommen aus dem Widerstand gegen die immer wieder auftauchenden ungeliebten Gefühle und Seiten an mir?
🌿Was hilft mir die dunklen Seiten von mir und dem Leben mit etwas mehr Gelassenheit da sein lassen zu können?
🌿 Was hilft mir, mit offenem Herzen zu leben? Lebendig, nicht perfekt und verletzlich zu sein? In Kontakt mit der universellen menschlichen Verletzlichkeit von mir und anderen zu sein?
Erntedank: Dankbarkeit und Ausgleich

Traditionelle Erntefeste überall auf der Welt feiern die Dankbarkeit für die Früchte dieser Erde. Oft gibt es wunderschöne Gaben-Tische und ein reichhaltiges Essen mit den Früchten aus der reichen Ernte. Bei solchen Anlässen können wir unsere Verbundenheit mit dieser Welt spüren und uns bewusst machen, sie mit Respekt zu behandeln.
Dankbarkeit schafft Verbundenheit mit mir selbst, den Menschen und dieser Welt. Eine regelmäßige Praxis des Danksagens macht die Fülle des Lebens bewusst und stärkt das Gefühl des Gestillt-Seins. Denn letztlich ist es eine Frage der Perspektive. Die Praxis der Dankbarkeit lenkt unseren Fokus. Beim Akt des Dankens richten wir unseren Blick nicht auf das was fehlt, sondern bewusst auf das, was schon da ist und das, was gut ist.
Wir haben immer wieder die Wahl, wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten. Eine regelmäßige Dankbarkeitspraxis wirkt sich deswegen auch so stark auf unser Wohlbefinden aus. Dafür reicht es schon, sich immer wieder und so oft es geht bewusst zu machen, wofür wir im Großen, aber gerade auch im Gewöhnlichen, Alltäglichen und Kleinen dankbar sind.
Danksagen ist auch eine der Kernroutinen der Wildnispädagogik. Danksagen in der Wildnispädagogik meint, sich bewusst und mit Wertschätzung an die Dinge zu erinnern, die einem das Leben ermöglichen und das Leben schöner machen. Eine solche Praxis bekräftigt auch die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebewesen voneinander und erinnert so daran, dass Mensch und Natur nicht getrennt sind.
In diesem Sinn geht es bei den Erntefesten im Herbst zutiefst um unsere wechselseitige Verbindung zur Erde und zum Universum. Heutzutage mag das für den einen oder anderen eine unangenehme Vorstellung sein, aber wir sind voneinander abhängig und beeinflussen uns gegenseitig. Wir sind davon abhängig unsere Nahrung und unser Trinken von dieser Erde und Licht und Wärme aus dem Universum zu erhalten. Und umgekehrt sind etwa auch die Pflanzen von dem CO2, was wir ausatmen, abhängig.
Das Gefühl der Abhängigkeit ist heute oft negativ besetzt. Wir alle wollen möglichst unabhängig und frei sein. Das ist auch gut so. Gleichzeitig ist es eine Realität, dass wir abhängig davon sind, von außen Nahrung, Trinken, Schutz und ausreichende soziale Bindung zu bekommen. Und auch das ist gut so. Schwarz-Weiß-Denken ist hier nicht hilfreich. Wir können eine positive Perspektive auf unsere wechselseitigen Abhängigkeiten und Beeinflussungen einnehmen. Wir sollten zwar nicht aus dem Blick verlieren, dass einseitige Abhängigkeiten von einer Quelle tatsächlich gefährlich sind und uns sehr verletzlich machen. Andererseits kann uns die Anerkennung der wechselseitigen Abhängigkeiten aller Lebewesen daran erinnern, dass wir alle Teil eines großen Gesamtsystems sind, wo jeder gibt und erhält. Wir können so unsere Verbundenheit mit dem großen Netz des Lebens jeden Tag aufs Neue unmittelbar erfahren – mit jedem Atemzug, jedem Essen, jedem Akt der Freundlichkeit zu einem anderen Lebewesen.
Danken kann so auch als bewusster Akt des Ausgleichs verstanden werden, um das Gleichgewicht von Geben und Nehmen wieder herzustellen. Diese soziale Bedeutung hatte die Praxis des Dankens schon in uralten Gesellschaften. Danken stärkt unsere wechselseitige Verbindung – ob mit Menschen, anderen Lebewesen oder auch der unbelebten Welt. Dieser Gedanke ist in naturnahen indigenen Kulturen heute noch stark verankert. Dort gibt es vielfältige Bräuche, etwa um Erlaubnis zu fragen und Danksagen, wenn man sich etwas aus der Natur nimmt und etwas als Dank dafür zurückzugeben. Daran kann uns auch die Herbstgleiche mit ihrem Gleichgewicht von Hell und Dunkel erinnern.
Wenn wir etwas erhalten, verpflichtet uns das auch in gewisser Weise. Wir dürfen uns heute wieder mehr an unsere Verantwortung erinnern, dass auch wir unseren ganz eigenen Beitrag zum großen Ganzen hinzugeben dürfen. Wir können uns klar machen, dass jeder einzelne von uns seinen ganz eigenen Platz in dieser Welt und in diesem Netz wechselseitiger Abhängigkeiten und Wechselwirkungen hat. In jedem Einzelnen von uns stecken einzigartige Gaben, mit denen wir diese Welt reicher und bunter machen können. Etwas beizutragen zum großen Ganzen im Kleinen und im Großen kann sehr erfüllend sein. Und nur so kann das Gleichgewicht im Gesamtsystem aufrechterhalten werden, wenn Geben und Nehmen im Gleichgewicht ist. Das können wir aktuell im Gleichgewicht der natürlichen System dieser Erde beobachten, aber auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Erntezeit erinnert uns daran, dass auch wir mit unseren Gaben großzügig sein dürfen. Und wir müssen hier nicht immer nur Groß denken – gerade die kleinen Gaben machen einen großen Unterschied – ein freundliches Lachen an einen Unbekannten, jemandem Zuhören und ihn so Sehen, wie er gerade da ist, Ruhe und Zuversicht ausstrahlen in unruhigen Zeiten…

„Wir sind alle hier, um unsere Gaben in die Welt zu bringen. Wenn wir das nicht tun, bleibt ein Teil des Ganzen unvollständig.“
Marianne Williamson

Reflexionsfragen für deine Dankbarkeitspraxis:
🌿 Wofür bist du heute dankbar?
🌿 Was sind deine einzigartigen Gaben, die du in die Welt geben möchtest – heute und in der Zukunft?
Innere Ernte und ewiger Kreislauf des Lebens

Die Pflanzen ziehen sich nun in die Erde zurück. Auf den Feldern wird Platz geschaffen, für neues Leben und Wachstum im Frühling. Die Bäume und Sträucher werfen in den nächsten Monaten ihre Blätter ab. Die bunten Farben des Sommers verschwinden mit einem letzten Herbst-Farbspektakel, vergleichbar dem Abendrot der Dämmerung, für die Winter-Nacht aus der Welt.
Die Natur bereitet sich auf die Zeit des Todes vor, die ab November zu Samhain beginnt. Diese Zeit des Stillstands ist Voraussetzung für die Regeneration und Erneuerung im ewigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen, von Leben und Tod. Das gilt für die Prozesse in der Natur genauso, wie für die Prozesse in uns selbst. Für mich ist es immer wieder ein Wunder, dass gerade diesen Zeiten des Stillstands, der Pause, des Todes die ganz besondere Magie des Lebens, der Erneuerung und Wiedergeburt innewohnt.
Im Westen beginnt die Zeit für Innenschau und innere Ernte. Das Alter – als die Ernte des Lebens – ist diejenige Zeit, in der wir unsere Erfahrungen und Erinnerungen einsammeln, zusammentragen und nochmal anschauen können. So können wir ganz werden und Kraft, inneren Frieden und innere Zugehörigkeit erfahren. Im Alter verliert zwar im Außen der Körper an Kraft. Durch die vielen Lebens-Erfahrungen können wir aber in unserem Inneren an Tiefe, Kraft und Verbundenheit gewinnen. Genau das passiert auch in der Natur im Herbst.
Der Mystiker John O’Donohue beschreibt den Herbst so treffend als eine Zeit der inneren Ernte, der Heimkehr in unsere tiefere innere Natur – zu uns selbst. Um heimkehren zu können und ein Gefühl der inneren Zugehörigkeit zu finden, müssen wir unsere Erfahrungen und unsere inneren Anteile zu einem Ganzen, zu unserem inneren Zuhause integrieren. Das bedeutet nicht, dass wir all unsere inneren Widersprüche auflösen müssen oder können. Im Gegenteil. Es bedeutet nur, dass wir uns dessen bewusst sind. Es geht darum, dass wir unsere Erfahrungen und inneren Anteile anschauen und in Frieden damit kommen, dass auch sie ein Teil von uns sind. Das gilt natürlich besonders für die verdrängten, nicht beachteten und ungeliebten Bereiche in uns. Diese Teile arbeiten im Unbewussten und versuchen oft verzweifelt unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Sie warten darauf geerntet zu werden und aus ihrer Verdrängung zurückkehren zu können, um als Teil von uns anerkannt zu werden. Wenn wir auf diese Weise unsere inneren Wunden heilen, braucht es viel Behutsamkeit und Mitgefühl für uns selbst. Wir dürfen wertschätzen, dass gerade unsere Fehler und Irrtümer uns zu innerem Wachstum verhelfen. Sobald wir uns auf diese Art selbst vergeben, fangen die inneren Wunden an zu heilen. Für diesen Weg zu Ganzheit brauchen wir Vertrauen in uns selbst. Denn nur wir selbst verfügen über das Wissen, welche Orte und Teile unserer inneren Landschaft unsere Zuwendung brauchen und welche Art von Zuwendung diese Bereiche brauchen (John O’Donohue, Anam Cara).
Wenn wir diese Zeit der inneren Ernte bewusst erleben wollen, lohnt es sich nochmal zurückzuschauen auf den letzten Frühling und Sommer. Wir können uns nochmal diese unglaubliche Reise des kleinen Samenkorns vergegenwärtigen, das im Dunkeln des Winters herangereift ist. Im Frühling hat es sich durch die Erdschichten ans Licht gekämpft. Noch voller Verletzlichkeit ist es gekeimt, hat dem wechselhaften Frühlingswetter getrotzt und ist gewachsen. Es ist immer größer gewachsen und hat Knospen gebildet. Im Sommer ist die nun starke Pflanze aufgeblüht und hat sich in ihrer ganzen Schönheit und Fülle gezeigt. Die Früchte und Samen sind herangereift – schmackhaft und nährend. Und nun im Herbst stehen wir vor einer reifen Ernte: Ein einziges kleines Samenkorn hat Tausende neuer Samenkörner gebildet, die im nächsten Frühling ihre große Lebensreise antreten und Schönheit, Fülle, Kraft und Nahrung für andere in die Welt bringen. Sie sorgen dafür, dass der Kreislauf des Lebens immer weiter geht und wir Vertrauen können, dass nach dem Sterben im Herbst neues Leben im Frühling entstehen kann.
Wie sieht deine innere Ernte für diese Jahr aus:
🌿 Welche Samen des letzten Winters sind in diesem Jahr für dich aufgeblüht?
🌿 Welche sind (noch) nicht zur Reife gekommen?
🌿 Wie sieht deine innere Ernte aus: Welche Fähigkeiten, Erkenntnisse, Beziehungen und auch Trennungen haben bei dir gefruchtet?
🌿 Welche Früchte und Samen möchtest du für den nächsten Frühling bewahren und erneut zum Leben bringen?

Segnung für das Alter
John O’Donohue, Anam Cara
Möge das Licht deiner Seele dich behüten.
Möge dir das Auge deiner Seele die nötige Weisheit verleihen,
diese schöne Zeit der Ernte zu würdigen.
Mögest du den Willen haben, deines Lebens Frucht zu ernten,
zu heilen, was dich versehrte,
es näher und näher kommen und eins werden zu lassen mit dir.
Möge dir ein Gefühl deiner Würde und Freiheit zuteil werden,
vor allem aber die herrliche Gnade, dem ewigen Licht und der Schönheit zu begegnen, die in dir sind.
Mögest du gesegnet sein,
und mögest du in dir selbst unendliche Liebe zu dir selbst entdecken.
Quellen: Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; Storl, Wolf-Dieter: Pflanzen der Kelten; O'Donohue, John: Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit; Young, Jon / Hass, Ellen / McGown, Evan: Mit dem Coyote-Guide zu einer tieferen Verbindung zur Natur, Grundlagen der Wildnispädagogik, Band 1, Handbuch für Mentoren; Nitschke, Adolfine: Räuchermomente im Jahreskreis.











































































