Orakeln – Sich daran erinnern, was wirklich zählt

Jahreswechsel und Rauhnächte

Der letzte Tag vor dem neuen Jahr ist zugleich die siebte der sogenannten Rauhnächte. Den Tagen „zwischen den Jahren“ wurde seit altersher eine besondere Bedeutung beigemessen (siehe auch Der Keltische Jahreskreis – ein europäisches Medizinrad). Diese zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem sechsten Januar dienten der Angleichung des Mond- an den Sonnenkalender. Deswegen heißt es auch “Zeit außerhalb der Zeit” oder “Zeit zwischen den Jahren” oder auch Rauhnächte. Diese dunklen und kalten Tage und Nächte wurden traditionell zur inneren Einkehr genutzt (deswegen auch Innernächte genannt), zum Danken, zur Rückschau, zum Innehalten und Loslassen, zum Befrieden und sich Öffnen und zur Vissionssuche und Einladung für Neues. 

In diese Zeit fällt der Jahresabschluss – Silvester. Auch wenn das heutige Datum des Jahresendes, der 31. Dezember, eher zufällig ist und sich keinem Himmelsereignis zuordnen lässt, kann man davon ausgehen, dass das heutige Silvester seinen Ursprung in germanischen Mittwinterfeiern (Wintersonnenwende) und alten heidnischen Bräuchen zum Aufwecken der Erde aus dem Winterschlaf hat.

Abschluss und Neubeginn

Wir können den Jahreswechsel nutzen, um uns mit den Themen Abschluss und Neubeginn in unserem Leben zu beschäftigen – Vergangenes sterben lassen, um Raum für neues Leben zu schaffen. Die Vorbereitung auf unsere Zukunft. Unsere heutigen Herzenswünsche entdecken, denn die verändern sich im Laufe der Zeit. Mit sich und den anderen ins Reine kommen, in den inneren Frieden. Es ist eine Gelegenheit für eine Neuausrichtung, für eine Innenschau, um neue Klarheit über das eigene Leben zu gewinnen. 

Orakel und Weissagung bei unseren Vorfahren

Traditionell und seit Urzeiten wurde orakelt und geweissagt. Das Orakeln, wie etwa bei den alten Griechen den Flug der Vögel zu beobachten, half gegen Ängste vor der ungewissen Zukunft und bot Orientierung für den weiteren Weg. Könige, Feldherrn, Seeleute und Bauern wollten Beistand bei wichtigen Entscheidungen und Vorhaben. Hieraus spricht auch die tiefe Verbundenheit mit der Natur, die genau beobachtet wurde und in deren Spiegel die Menschen ihre innersten Wünsche und inneren Landschaften entdecken konnten.

Orakeln als Weg zur Innenschau

Das Orakeln kann auch heute eine wichtige Bedeutung für uns haben – nicht als „esoterischer“ Hokus Pokus, sondern als Gelegenheit zum Innehalten, zur Innenschau und zur Reflexion. Mit dem Phänomen der selektiven Wahrnehmung lässt sich auch erklären, dass wir die Zeichen sehen und so für uns deuten, dass sie das, was uns beschäftigt, etwas für uns Bedeutungsvolles widerspiegeln. Wir nehmen das wahr, was unseren inneren Landschaften und Themen entspricht und können ihm mit unserer inneren Weisheit die Bedeutung geben, die für uns wichtig ist.

Erinnerung an unsere Begrenztheit

Das Orakel ist für mich auch eine wertvolle Erinnerung daran, dass wir so vieles im Leben nicht wissen und verstehen und über so viele Dinge keine Kontrolle haben. Das Leben ist ein heiliges Wunder.

Vertrauen an unsere innere Weisheit

Beim Orakeln ist es wichtig darauf zu vertrauen, dass alle Fragen und Antworten immer in uns sind – auch wenn wir nicht immer Zugang dazu haben. Zur richtigen Zeit kommen die Fragen und Antworten, die wir zum Wachsen brauchen, zu uns. Was wir tun können, ist dafür gute Bedingungen und Räume zu schaffen. Eine Möglichkeit ist das Orakeln.

Verbindung zu uns selbst

Beim Orakeln geht es auch um Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment, um Offenheit, um das frei machen von Konzepten und Geschichten. Die Kunst des Orakelns ist die Kunst mit den Erkenntniskräften unserer Seele und unseres Herzens in Verbindung zu kommen. Die Zukunft können wir mit der Antwort des Orakels nicht festlegen. Wir können mit unserer inneren Weisheit verstehen, Klar-Sehen (in der buddhistischen Theravada-Tradition: Vipassana) und den richtigen Weg einschlagen. 

Fragen zum Jahreswechsel

Wir können uns zum Jahreswechsel folgende Fragen stellen und uns die Dringlichkeit unserer Fragen bewusst machen. Denn die vermutlich einzige Sicherheit im Leben, die wir kennen, ist, dass wir sterben müssen. Wir wissen nur nicht wann. 

Das vergangene Jahr ehren

  • Welche Momente im vergangenen Jahr haben dich mit tiefer Freude erfüllt?
  • Welche Situation war besonders herausfordernd und was durftest du dadurch lernen?
  • Was hast du im letzten Jahr so richtig gut gemacht, was dich mit Stolz erfüllt?

In das neue Jahr träumen

  • Was zählt wirklich in deinem Leben?
  • Wo stehst du heute? Wer bist du heute? 
  • Was ist dir wichtig? Wofür brennst du wirklich? Was sind deine Herzenswünsche?
  • Welche Talente und Stärken wurden dir geschenkt, die du in die Welt geben möchtest (give your gift)?
  • Was möchtest du bewahren und verstärken (Beziehungen, innere Qualitäten, Aktivitäten, Denk- und Handlungsmuster)?
  • Was möchtest du verändern? 
  • Was brauchst du, um deine Herzenswünsche zu erreichen? Was behindert dich und engt dich ein (z.B. Erwartungen anderer, eigene Vorstellungen davon, was andere von uns erwarten, eigene einengende Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ist)? 

Verschiedene Orakelformen

Neben den bekannten Orakeln, wie Kartenlegen, Tarot oder Blei- oder Wachsgießen ist das Feuer (Kerze oder Lagerfeuer) oder die Natur (Vogelflug, Bäume, fließendes Wasser) eine der ältesten Orakel-Formen.

Das Orakel befragen

Um das Orakel zu befragen und in die Reflexion zu gehen, kann man sich im Geist mit geschlossenen Augen eine bestimmte Fragen stellen. Wenn man sich eine Frage gestellt hat, öffnet man die Augen und blickt entspannt auf die Karte, das Stück Blei, die Vögel, in die Flammen, in einen Bach oder einfach auf einen Baum. Dabei sollte man nicht nach Formen suchen, sondern warten bis etwas auftaucht in den Formen und Geräuschen des Orakels. Spüre genau in dich hinein, welche Gefühle, Bilder und Gedanken diese Formen oder Geräusche des Orakels in dir auslösen. Bleib dabei bis in dir ein bestimmtes Gefühl, ein inneres Bild oder ein Gedanke auftaucht. Schließe nun die Augen und spüre der Antwort nach. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Frage irgendwie beantwortet wurde, auch wenn du es noch nicht richtig verstanden hast, kannst du das Orakel beenden.

Sich daran erinnern, was wirklich zählt

Du kannst mit den Fragen auch in irgendeiner anderen Form arbeiten, sie zum Beispiel aufschreiben – ohne viel darüber nachzudenken, sondern einfach das, was auftaucht (Journaling). Du kannst auch nur einige für dich bedeutungsvolle Fragen oder andere für dich passendere Fragen suchen. Auch die Suche nach den richtigen Fragen kann schon Erkenntnis sein. Letztlich geht es darum, sich daran zu erinnern, was wirklich zählt, dass wofür man brennt. Das kann uns die Kraft und den Mut geben, sich – die eigene innere Haltung – immer wieder aufs Neue darauf auszurichten! 

“Tell me, what else should I have done?

Doesn’t everything die at last, and too soon?

Tell me, what is it you plan to do with your one wild and precious life?”

Mary Oliver, from “The Summer Day”

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