Mittsommer: Licht des Sommers

Mohn Mittsommer

Es sind nun die längsten Tage des Jahres und die kürzesten Nächte. Am 21. Juni ist die Sommersonnenwende. Diese Zeit im Jahr ist voller Licht, Leben, Leichtigkeit und Fülle. Wir können das mit allen Sinnen spüren: Wenn wir die Vielfalt an Kräutern, Gemüse, Kirschen und Beeren genießen, dem Zirpen der Grillen lauschen, der warme Sommerwind über die Haut streicht, und wir uns im kühlen Nass erfrischen.

Und gleichzeitig schwingt unbemerkt bereits ganz viel Vergänglichkeit mit. Der keltische Jahreskreis lehrt uns, dass Nichts für immer ist. Das Rad dreht sich immer weiter. Alles verändert sich fortlaufend – das ist die einzig sichere Konstante. Meteorologisch und kalendarisch ist die Sommersonnenwende der Beginn des Sommers. Der Name Mittsommer oder Midsommar geht auf die alte Vorstellung der Kelten und Germanen zurück, wonach der Sommer zu Beltane (1. Mai oder 5. Vollmond) begann. Unterteilt man den Sommer in Früh-, Hoch- und Spätsommer, so markiert der Mittsommer die Mitte des Sommers. Nun beginnt der Hochsommer, die heißeste Zeit des Jahres. Der Höhepunkt ist zugleich der Zeitpunkt der Wende, des Umschwungs und der Verwandlung. Die Sommersonnenwende ist gleichzeitig der Zeitpunkt im Jahr, ab dem die Tage wieder kürzer werden. Auch wenn das in dieser Zeit der Fülle, Freude und des Lichts nicht spürbar ist, beginnt nun bereits im Unsichtbaren die Zeit des weniger Werdens, des Abnehmens.

Die Sommersonnenwende wird in vielen Kulturen rund um die Welt seit dem Anbeginn der menschlichen Kulturgeschichte gefeiert. Heute besonders bekannt sind die Midsommar-Feste in den weißen Nächten Skandinaviens. Aber auch bei uns in Mitteleuropa wird die Sommersonnenwende noch mit großen Johanni-Feuern und Johannisfesten gefeiert.

Für mich sind die Jahreskreisfeste eine Gelegenheit, mich Jahr für Jahr mit den Vorgängen und wiederkehrenden Rhythmen in der Natur vertraut zu machen. Dabei spüre ich eine Verbindung zu unseren Vorfahren – auch wenn wir heute mangels schriftlicher Aufzeichnungen und wechselseitiger kultureller Beeinflussungen im Zeitverlauf nicht mehr genau wissen, was unsere Vorfahren zur Sonnenwende gedacht, gefühlt und gemacht haben. 

Zur Sommersonnenwende kann man sich alten Bräuchen entsprechend bunte Blumenkränze binden für den ausgelassenen Tanz am Feuer. Und wer besonders mutig ist, der wagt den Sprung übers Feuer.

Ursprünge der Sonnenwendfeiern

Unsere Vorfahren waren eng mit den natürlichen Kreislaufen verbunden und beobachten den Lauf der Sonne genau. So hatten sie auch genau Kenntnis von den Sonnenwenden. Davon zeugen die uralten Hügelgräber, Steinkreise und Steinreihen in Europa. Sie sind mit Sonnensymbolen geschmückt und so ausgerichtet, dass Licht zur Sonnenwende auf einen bestimmten Punkt einfällt. Ähnliche Bauwerke haben die Maya in Südamerika oder die Ägypter errichtet.

Mythologisch hat die Herrschaft des Lichts nun ihren Höhepunkt erreicht – doch der Niedergang naht. Der keltische Sonnengott Belenos, dessen Herrschaft zu Beltane begann, regiert im Reich des Sommers. Seine Pflanzengöttin Belisama ist nun schwanger mit den heranreifenden Früchten der Erde. Die Zeit der Reife beginnt. Zur Sommersonnenwende stirbt der Sonnengott Belenos von der Hand des ihm nachfolgenden Sonnen- und Erntegottes Lug oder Lugus. Der Geschichte nach soll der Sonnengott Belenos unsterblich gewesen sein. Denn die Muttergöttin hatte sich von allen Lebewesen versprechen lassen, dass niemand ihrem geliebten Sohn etwas ant uen dürfe. Nur der kleinen Mistel, die weder Himmel, noch Erde angehörte, hatte sie diesen Schwur nicht abgenommen. Mit einem Speer aus einem Mistelzweig tötet der feurige Lug dann den Lichtgott Belenos und übernimmt zur Sonnenwende die Herrschaft. Nun beginnt die Zeit der reifenden Früchte und der Ernte des Getreides. Bei den Germanen gibt es eine ähnliche Geschichte über den schönen Lichtgott Baldur, der durch eine List des Gottes Loki versehentlich von seinem Bruder Hönur getötet wurde. In manchen Gegenden werden heute noch zur Sonnenwende brennende Feuerräder die Berge herunter gerollt. Diese Bräuche könnten auch germanischen Ursprungs sein und den Donnergott Taranis ehren, dessen Symbol ein brennendes Rad ist.

Die Christen übernahmen viele der alten Bräuche, die sie in Europa vorfanden, und deuteten sie im Sinne der biblischen Geschichte um. Aus den Sonnenwendfeiern wurden die heute noch rund um den 24. Juni gefeierten Johannis-Feste zum Geburtstag Johannes des Täufers. Auch das alte Brauchtum wurde übernommen und so werden heute noch große Johanni-Feuer entzündet. Die Johannisbeeren, die nun reif sind, sind nach dem Johannis-Tag benannt. Gleiches gilt für die Johanniskäfer oder Glühwürmchen, die wir nun in den lauen Sommernächten beobachten können.

Fülle und Reifen in der Natur

In der Natur verlangsamt sich das explosive Wachstum der letzten Wochen – es hat seinen Höhepunkt erreicht. Überall sind Blütenmeere und dichtes Grün. Nun beginnt die Zeit des Reifens, der Transformation und (Ver-)Wandlung. Die Zeit um die Sommersonnenwende steht für Fülle, inneren und äußeren Reichtum und für Reifen, Transformation und Verwandlung. Im Mondzyklus entspricht diese Zeit dem Vollmond.

Aus Blüten werden reife Früchte. Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen und Johannisbeeren schenken uns den Geschmack des prallen süßen Lebens. 

Viele Heilkräuter haben nun ihre höchste Wirkkraft und werden heute noch als Johannissträuße gesammelt und für die Hausapotheke getrocknet. Zu den klassischen Johannis-Kräutern gehört allen voran das sonnengelb strahlende Johanniskraut, dass stimmungsaufhellend wirkt. Auch die älteste in Europa bekannte Ritualpflanze, der Beifuß, spielt in Sonnenwendritualen ein große Rolle. Das Schamanenkraut Beifuß soll die Hellsichtigkeit und den Zugang zur nicht-sichtbaren Anderswelt fördern. Nur mit einem Beifußgürtel bekleidet und einem Sonnenwendkranz im Haar sollen die Menschen früher um das Freuden- und Dankbarkeitsfeuer getanzt sein. Es gibt eine ganze Reihe weiterer typischer Johanniskräuter, die für Sonnenwendkränze verwendet wurden:

  • Eisenkraut (Stärke, Ausgleich, Visionen)
  • Rainfarn (Entspannung, Abgrenzung, Schutz),
  • Kamille (Sanftheit, Heilung, Sonne),
  • Königskerze (Sonnenkraft, Selbstbewusstsein, Mut)
  • Schafgarbe (Weibliche Kraft, Intuition, Naturverbindung),
  • Lindenblüten (Ruhe, Entspannung, Verbindung),
  • Thymian oder Quendel (Lebensfreude, Mut, Sonnenkraft),
  • Ringelblume (Sonne, Fruchtbarkeit, Heilung),
  • Holunderblüten (Tor zur Anderswelt, weibliche Kraft).

Aus diesen Heilkräutern und Blüten kann man sich auch heute wunderschöne duftende Blumenkränze für die Sonnenwendfeier binden. In manchen Gegenden sammelt man Sonnenwend-Blumensträuße und legt sie unter sein Kopfkissen, um von der Liebe im Leben zu träumen.

Höhe- und Wendepunkt: Rückschau und Neuausrichtung

Im Lebenszyklus des Menschen sind wir in der Lebensmitte, der Zeit um das 40. Lebensjahr angekommen. In dieser Zeit steht man meist auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft – mitten im Berufsleben, der Elternrolle und geht seinen sportlichen, kulturellen, gesellschaftlichen oder spirituellen Neigungen nach. Man hat sich selbst nun schon viele Jahre immer wieder neu kennengelernt und ausprobiert. Es ist oft auch eine Zeit, in der man innerlich gefestigter und reifer wird. Gleichzeitig ist diese Lebensphase ein Wendepunkt, der auch mit Lebenskrisen – Midlifecrisis – oder den bevorstehenden Wechseljahren der Frauen einhergehen kann. Diese Phase am Höhe- und Wendepunkt des Lebens ist eine großartige Gelegenheit für Rückschau, Neuausrichtung und inneres Reifen. Es geht mal wieder um die große Frage: 

Tell me, what else should I have done?
Doesn’t everything die at last, and too soon?
Tell me, what is ist you plan to do
With your one wild and precious life?

Mary Oliver, Auszug: The Summer Day

Auch im Jahreskreis steht das Mittsommerfest für den Übergang von der ersten in die zweite Jahreshälfte. Man kann in der Jahresmitte Inne halten und gemeinsam mit anderen am Sonnenwendfeuer oder allein, in der Natur oder an einem Feuer oder Gewässer den Fragen nachgehen. Lasst euch in einer solchen Reflexion von eurer inneren Stimme leiten. Wichtig ist nicht, alle Fragen bis ins letzte zu durchdenken oder auf alle Fragen Antworten zu bekommen. Spüre einfach, welche Fragen für dich gerade wichtig sind. Schaue einfach was spontan in dir auftaucht, wenn du dir diese Fragen stellst und was dir bedeutungsvoll erscheint. Vertraue dir und deiner inneren Weisheit. Vielleicht kannst du auch spüren, wie es sich im Körper anfühlt und ob ein bestimmtes Gefühl auftaucht. Wer mag kann seine Erkenntnisse aufschreiben und symbolisch dem Feuer oder Wasser übergeben.

Rückschau

  • Was habe ich in der ersten Jahreshälfte gelernt – über mich, andere, das Leben?
  • Was möchte ich an Erkenntnis mit in die zweite Jahreshälfte nehmen?
  • Gibt es etwas, mit dem ich abschließen möchte, das ich hinter mir lassen möchte? 

Neuausrichtung

  • Wem oder was möchte ich in der zweiten Jahreshälfte mehr Aufmerksamkeit schenken?
  • Was möchte ich zur Reife bringen?

Sonnenkraft – Leben und Tod

Im Jahreskreis befinden wir uns nun am Mittag, dem Höhepunkt des Tages. Zur Sommersonnenwende wird die Kraft des Lichtes und der Sonne gefeiert. Wir spüren in uns und der Natur um uns herum große Kraft und Energie und sind angeregt, vom blauen Himmel, den weißen ziehenden Wolken und der Wärme und Helligkeit. Zur Sommersonnenwende können wir die Lebensfreude,Wärme und Liebe feiern. 

Zugleich wird in den heißen Sommertagen deutlich, dass die starke Sonnenenergie auch zerstörerische Kräfte besitzen kann. In den heißesten Tagen verdorren und verbrennen die Pflanzen. Die Leben schenkende Kraft kann das Leben auch wieder zerstören und damit das Jahresrad weiterdrehen und Raum schaffen für neues Leben. 

Es wird deutlich: Leben und Tod sind untrennbar miteinander verwoben. In der Hitze des Sommers spüren wir, dass Leben auch Dunkelheit braucht, die Kühle des Schattens und Erfrischung der Nacht. Es wird klar und erfahrbar, das Leben nur mit beiden Aspekten vollkommen und ganz ist. Im Licht können wir die Dunkelheit schätzen und in der Dunkelheit das Licht.

Die Zeit der Sonnenwende wird mit den großen roten Muttergöttinnen in Verbindung gebracht. Die feurig-heiße Sonnengöttin, die Leben schenkt und zerstört, steht in enger Verbindung mit ihrem Gegenpol der kühlenden Mondgöttin. Als Archetyp dieser mütterlich-nährenden und schützenden Göttin ist die Namensgeberin des Juni – die römische Göttermutter Juno – zu nennen. Die ihr in der griechischen Mythologie entsprechende Muttergöttin Hera wurde in der patriarchalisch geprägten griechischen Kultur häufig als eifer- und rachsüchtige Gemahlin des untreuen Göttervater Zeus dargestellt. In einer früheren mehr matriarchalischen Zeit war Juno oder Hera die Mutter, die für Schutz und Nahrung sorgte. Sie war der Archetyp der empfangenden und offenen Frau. Göttinnen, die in anderen Kulturen diese Lebensqualitäten, die in allen von uns – ob Mann oder Frau – stecken, verkörpern sind etwa die germanische Frigg, die indische Lakshmi, die ägyptische Isis oder die irische Sonnengöttin Aine.

Diese Göttinnen verkörpern einen wichtigen Aspekt im Leben: Fülle. Innerer und äußerer Reichtum können nur entstehen, wenn wir richtig genährt sind, wenn unsere Bedürfnisse gestillt sind. Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl sind essentiell um in innerem und damit auch äußerem Frieden zu leben. Wir können lernen, uns um uns selbst zu kümmern: Was ist da in uns, dass Aufmerksamkeit und Mitgefühl braucht? Welche verletzten und ungeliebten Teile von uns wollen sein dürfen – gehalten, angenommen und genährt werden? Was brauche ich jetzt gerade?

Innerer Reichtum: Shine your light

Zur hellsten Zeit des Jahres können wir uns auch an unserer eigenes Licht erinnern und dürfen strahlen und es mit anderen teilen. In uns allen ist eine Fülle vorhanden, wie wir sie jetzt im Außen in der Natur wahrnehmen können. Alles, was wir brauchen, können wir auf die eine oder andere Weise in uns selbst finden.

Innerer Reichtum ist nur einen Schritt von uns entfernt. Wir können ihn entdecken, indem wir unsere Wahrnehmung auf unser Innerstes richten. Wenn sich die Blütenblätter unseres Herzens öffnen, sehen wir erstaunt, wie viel Räume unser Innerstes hat, in denen tiefe Liebe, Zufriedenheit, Fülle, Frieden und Glückseligkeit wohnen. In einem solchen Moment fehlt uns nichts. Wir empfinden keinen Mangel, keinen Neid, keine Angst. Wir hören auf zu urteilen und spüren, dass alles vollkommen ist, wie es ist. Genau dann ist es uns möglich, uns selbst liebevoll in die Arme zu nehmen und unser eigenes Potential zu entfalten.

Die Esche, Allgäu Kräuterwerkstatt

Zauber des Sommernachtstraums

Die lauen und hellen Mittsommernächte sind voller Zauber. Schon unsere Vorfahren gingen davon aus, dass in diesen Nächten die Grenzen zu Anderswelt verschwimmen – die Grenzen zwischen Traum und Wachsein, zwischen Phantasie und Wirklichkeit, zwischen Sichtbarem und Unbewussten. Für die Kelten und Germanen ist das Sichtbare und das Unsichtbare eins. Die Anderswelt, die Welt des nicht Sichtbaren, des Traums und der Phantasie, ist eng verwoben mit der greifbaren Wirklichkeit. Das Jenseits ist für die Kelten nicht ein vom Diesseits getrennter Ort, an dem man nur nach dem Tod gelangen kann. Das Sichtbare und Unsichtbare geht auseinander hervor und ineinander über. Jeder hat Zugang zur Anderswelt, nicht nur Priester und Tote. Der Übergang in die andere Welt konnte an besonderen heiligen Orten, wie Brunnen, Quellen, Bäume, Weggabelungen oder Berge erfolgen. Solche Übergange finden sich häufig noch in den überlieferten Märchen, etwa dem Märchen von Frau Holle. Die Trennung zwischen der sichtbaren und der nicht sichtbaren Welt soll aber auch besonders an den Jahreskreisfesten als Schwellentage besonders dünn gewesen sein. In vielen alten Geschichten tanzen die Feen und Elfen in den weißen Nächten durch unsere Welt.  Diese alten Mythen hat Shakespeare ganz wunderbar in seinem Sommernachtstraum verarbeitet, wo sich zur Sonnenwende die phantastische Welt der Elfen und Träume mit der Welt der Menschen vermischt.

Die Mittsommernächte sind eine Einladung, uns von engen, meist unbewussten Vorstellungen, Überzeugungen und Konzepten über die Wirklichkeit zu lösen. Wir können unsere Wahrnehmung öffnen für den Zauber, das Magische, das Transformierende und das Wunder in der Natur, in uns und den Menschen zu spüren und wertzuschätzen. Wir haben es in der Hand:

Dein Geist ist der Schöpfer dieser Welt.

Buddha

Wir können in die Natur gehen und schauen, was sich uns zeigt. Wir können uns dafür öffnen, wie die Natur, die Tiere und Pflanzen, das Wetter und das Wasser der Himmel und der Wind mit uns auf ihre ganz eigene Weise sprechen. Wir können wieder lernen zu hören, was sie uns sagen und was sie uns lehren. 

Möge der Zauber des Umschwungs inneres Reifen, Verwandlung, Loslassen und Neuausrichtung bewirken. Möget ihr voller Lebensfreude am Feuer durch den Sommernachtstraum  tanzen und euer Licht in die Welt strahlen lassen.

Ach! Ist es nicht eine Freude am Leben zu sein!

Quellen: Kaiser, Martina: Der Jahreskreis; O'Donohue, John: Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit; Storl, Wolf Dieter: Pflanzen der Kelten; Kirschgrube, Valentin: Von Sonnenwend bis Rauhnacht; Anaconda: Das Buch der keltischen Mythen; Nitschke, Adolfine: Räuchermomente im Jahreskreis; Krämer, Claus: Mythen und Sagen der Kelten

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